Nachruf für die Bischöfin Rosemarie Köhn 30.11.2022
Nachruf
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(*20.10.1939 in Rathenow - † 30.10.2022 in Hamar/Norwegen)
Am 30.10.2022 nahm Gott der Herr, gelobt sei sein Name, die Bischöfin Rosemarie Köhn aus Hamar in Norwegen, zu sich. Die Trauerfeier wird am 03.11.2022 um 12:15 Uhr im Norwegischen Fernsehen übertragen. Die königliche Familie und Mitglieder der Regierung haben sich zur Trauerfeier angesagt.
Sie war die erste Frau im Bischofsamt in Norwegen und ganz Skandinavien und die dritte Frau weltweit in diesem Amt. Damit hat sie Kirchengeschichte geschrieben. Als sie am 20.10.1939 in Rathenow geboren wurde, konnte das noch niemand voraussehen. Ihr Vater Willy Köhn handelte in Rathenow mit optischen Artikeln und verliebte sich in Norwegen in Eva Mathilde Sörlle und heiratete die Norwegerin 1939 im Trondheimer Dom. Eva Mathilde Köhn zog nach Rathenow, wo ihre Tochter im Paracelsuskrankenhaus zur Welt kam. Da der Vater im Krieg war, zog die Mutter, die sehr gut Deutsch sprach, ihre Tochter allein groß. Rosemarie Köhn wurde in Rathenow getauft und eingeschult. Nach dem Ende des Krieges war der Vater noch in amerikanischer Gefangenschaft und Eva Mathilde Köhn ging zurück nach Norwegen, wo ihre Tochter in Oslo nach dem Abitur Theologie studierte und als Dozentin an der Universität blieb und eine hebräische Grammatik herausgab, wonach alle Studenten in ganz Skandinavien lernten. Rosemarie Köhn war vom Hebräisch fasziniert und hielt das Hebräisch für eine einfache Sprache, deren Grundregeln sie sofort begriffen hatte. Hier kommen Parallelen zum einzigen Bischof aus Rathenow auf, Dr. Stephan Bodecker (* 15.11.1384 in Rathenow - † 15.02.1459 in Brandenburg an der Havel) zum Vorschein. Er war ein ausgezeichneter Kenner der hebräischen Sprache und sammelte viele hebräische Schriften. Er hat die Abschrift eines hebräisch-biblischen Wörterbuchs von Menachim ibn Saruq in Auftrag gegeben und setzte sich für das Hebräischstudium aller Theologiestudenten an den Universitäten ein. Dr. Stephan Bodecker war von 1422 - 1459 Bischof im Bistum Brandenburg. Am Himmelfahrtstag 2022, anlässlich des 600jährigen Jubiläums seiner Ernennung als Bischof von Brandenburg, hatte der Förderkreis zum Wiederaufbau der Sankt-Marien-Andreas-Kirche in Rathenow e. V. eine Andacht in der Sankt-Marien-Andreas-Kirche durchgeführt. Rosemarie Köhn bekleidete als erste Frau in Norwegen von 1993 - 2006 das Amt der Bischöfin von Hamar. Sie war anders als die Theologen der norwegischen Staatskirche, denn sie war bürgernah und setzte sich für die Rechte der Frauen in Norwegen und in der ganzen Welt ein. Die Rechte von Minderheiten waren ihr wichtig und sie setzte mit ihrem Handeln Maßstäbe in Norwegen und in der Welt. Wenn sie in einer Gemeinde zu einem Festgottesdienst eingeladen wurde, setzte sie sich mit den Bauern anschließend in die Kneipe und trank mit ihnen einen Schnaps. Das war natürlich ein Dorn im Auge der etablierten und zum Teil verkrusteten Kirchenhierarchie. Der Einsatz für die Rechte der Minderheiten führte viele Menschen wieder zurück in die Staatskirche, was natürlich vom Kirchenestablishment auch anerkannt wurde. Sie war eine streitbare Bischöfin, die sich solange mit der Kirchenleitung zankte, bis die Ruinen der zerstörten Kathedrale in Hamar wieder als Kirche genutzt werden durften, nachdem sie mit einer großen Glaskuppel überbaut wurden und eigentlich ausschließlich als Museum und Konzertsaal genutzt werden sollten. Sie war für den Beitritt Norwegens in die Europäische Union und erklärte in allen Zeitungen, wenn man so viel Gutes von der Europäischen Union hat, sollte man ihr auch beitreten. Aber die Norweger entschieden sich dagegen. Wegen ihrer Verdienste um die norwegische Staatskirche verlieh ihr der König von Norwegen Harald V. 2004 den Sankt-Olav-Orden, die höchste Auszeichnung, die der Staat zu vergeben hat. Der Orden muss nach dem Tode des Trägers wieder an den Staat zurückgegeben werden. Nach der Einheit Deutschlands kam sie fast jedes Jahr nach Rathenow und suchte nach den Spuren ihrer Herkunft. Am 06.11.2009 trat sie dem Förderkreis zum Wiederaufbau der Sankt-Marien-Andreas-Kirche in Rathenow e. V. bei. Eine große Freude für sie war, dass sie noch Rudi Pietsch, ihren Spielgefährten aus der Kindheit treffen konnte. Beide erinnerten sich, wie sie im Keller des Hauses Heinrich-Heine-Str. 60 in Rathenow gesessen haben und sich die Ohren zuhielten, weil sie Angst vor den Detonationen der Bomben über Rathenow hatten. 2007 schrieb Gry Espedal eine Biografie über Rosemarie Köhn mit dem Titel "Rose", die in Norwegen zum Bestseller wurde und sofort vergriffen war. Die Bischöfin arbeitete daran fleißig mit und setzte ihrer Geburtsstadt Rathenow damit ein literarisches Denkmal. Nach einem kurzen Vorwort von Gry Espedal wird im ersten Teil des Buches in sechs Kapiteln über die Kriegsjahre 1939 -1945 in Rathenow geschrieben. Die Kapitel heißen 1. Die Hochzeit, 2. Der Krieg, 3. Bombenhagel über Rathenow, 4. Hunger, 5. Die Russen kommen und 6. Heim nach Norwegen. Dann folgen die im zweiten Teil die Beschreibung der Familie und der Schule in Norwegen und im dritten Teil die Studienzeit von Rosemarie Köhn, im vierten Teil des Buches beginnt mit dem Mauerfall in Berlin und wird dann mit dem Auswahlverfahren zur Bischöfin fortgesetzt. Der letzte Teil des Buches beschreibt die Arbeit als Bischöfin und die vielen, vielen Aktivitäten, die mit dieser Aufgabe verbunden waren. Sie war und wollte auch immer eine volksnahe Bischöfin sein und so kommt es, dass ihre Popularität einmalig war, was eine Repräsentantin der Staatskirche in Norwegen anbetrifft. Die Talk-Shows im Fernsehen, die Zeitungen, die Rundfunksender bemühten sich um diese besondere Bischöfin. Auch die Komiker parodierten sie oft und trugen so zu ihrer Bekanntheit im ganzen Land bei. Als einer der besten Komiker in Norwegen, der sie viele tausendmal nachgeahmt hatte, starb, bat die Familie bei der Trauerfeier um ein Geleitwort von ihr. In einer Parodie im Fernsehen wurde sie gefragt, wie sie das alles unter einen Hut bekäme "die vielen Reisen in alle Welt, sie wäre ja doch eine Dame in einem gewissen Alter?". "Ja," meinet der Komiker, der die Bischöfin spielte, " sie hätte eine eigene Methode des Reisens entwickelt und drehte ihren Bischofsstab um und hüpfte damit zum Amüsement der Zuschauer durch das Studio." Mit der Königin Sonja hatte die Bischöfin ein besonders enges Band und als der Kronprinz Haakon Magnus von Norwegen 2001 heiratete, wurde die Bischöfin Rosemarie Köhn zur Vorsitzenden der Königlichen Kommission zur Verwaltung der Spendengelder ernannt. Bei den großen Familienfesten des Königshausen wird von den Gästen statt eines Geschenkes eine Spende für einen wohltätigen Zweck erbeten. Dieses Geld muss natürlich sehr gewissenhaft verwaltet werden. Die Bischöfin war mehrmals im Haus des Vorsitzenden des Förderkreises zum Wiederaufbau der Sankt-Marien-Andreas-Kirche in Rathenow e. V. zu Gast und hat auch in der Röntgenstr. 13 übernachtet. Auf Antrag der SPD-Fraktion wurde die Bischöfin a. D. Rosemarie Köhn am 20.04.2021 in der Stadtverordnetenversammlung von Rathenow einstimmig zur Ehrenbürgerin der Stadt Rathenow gewählt. Es ist eine große Spendenaktion in Norwegen gestartet worden, die bisher über eine Million norwegische Kronen (über 100.000,00 €) erbrachte. Ein Auftrag für eine lebensgroße Bronzestatur der Bischöfin Rosemarie Köhn ist ausgeschrieben worden. Das Denkmal soll vor dem Dom in Hamar am 20.05.2023 enthüllt werden und dort an die erste Bischöfin des Landes erinnern. Die protestantische Kirche verliert mit der Bischöfin Rosemarie Köhn eine der hartnäckigsten Verfechterin der Rechte von Minderheiten, Außenseitern und eine Kämpferin für die Gleichberechtigung der Frauen in der Welt.
Copyright: Dr. Heinz-Walter Knackmuß 31.10.2022