Ulrich Treu spielt vier deutsche Balladen im Lutherhaus am 18.09.2021

i

Der Direktor der Puppentheaters Berlin, Ulrich Treu, spielte für die Sankt-Marien-Andreas-Gemeinde und ihre niederländischen Gäste am 18.09.2021 vier deutsche Balladen im Lutherhaus auf einer improvisierten Bühne mit seinen Handpuppen.

Johann Wolfgang von Goethe (*1749 - †1832)

Der Fischer

Das Wasser rauscht', das Wasser schwoll,
ein Fischer saß daran,
sah nach dem Angel ruhevoll,
kühl bis ans Herz hinan.
Und wie er sitzt und wie er lauscht,
teilt sich die Flut empor;
aus dem bewegten Wasser rauscht
ein feuchtes Weib hervor.

 

Sie sang zu ihm, sie sprach zu ihm:
Was lockst du meine Brut
mit Menschenwitz und Menschenlist
hinauf in Todesglut?
Ach wüßtest du, wie's Fischlein ist
so wohlig auf dem Grund,
du stiegst herunter, wie du bist,
und würdest erst gesund.

 

Labt sich die liebe Sonne nicht,
der Mond sich nicht im Meer?
Kehrt wellenatmend ihr Gesicht
nicht doppelt schöner her?
Lockt dich der tiefe Himmel nicht,
das feuchtverklärte Blau?
Lockt dich dein eigen Angesicht
nicht her in ew'gen Tau?

 

Das Wasser rauscht', das Wasser schwoll,
netzt' ihm den nackten Fuß
sein Herz wuchs ihm so sehnsuchtsvoll,
wie bei der Liebsten Gruß.
Sie sprach zu ihm, sie sang zu ihm;
da war's um ihn geschehn:
Halb zog sie ihn, halb sank er hin
und ward nicht mehr gesehn.

(1778)

i

 

Gustav Schwab  (*1792 - 1850)

 

Das Gewitter

Urahne, Großmutter, Mutter und Kind,
In dumpfer Stube beisammen sind;
Es spielet das Kind, die Mutter sich schmückt,
Großmutter spinnet, Urahne gebückt
Sitzt hinter dem Ofen im Pfühl –
Wie wehen die Lüfte so schwül!

 

Das Kind spricht: „Morgen ist’s Feiertag,
Wie will ich spielen im grünen Hag,
Wie will ich springen durch Tal und Höh’n,
Wie will ich pflücken viel Blumen schön;
Dem Anger, dem bin ich hold!“ –
Hört ihr’s, wie der Donner grollt?

 

Die Mutter spricht: „Morgen ist’s Feiertag,
Da halten wir alle fröhlich Gelag,
Ich selber, ich rüste mein Feierkleid;
Das Leben es hat auch Lust nach Leid,
Dann scheint die Sonne wie Gold!“ –
Hört ihr’s, wie der Donner grollt?

 

Großmutter spricht: „Morgen ist’s Feiertag,
Großmutter hat keinen Feiertag,
Sie kochet das Mahl, sie spinnet das Kleid,
Das Leben ist Sorg’ und viel Arbeit;
Wohl dem, der tat, was er sollt’!“ –
Hört ihr’s, wie der Donner grollt?

 

Urahne spricht: „Morgen ist’s Feiertag,
Am liebsten morgen ich sterben mag:
Ich kann nicht singen und scherzen mehr,
Ich kann nicht sorgen und schaffen schwer,
Was thu’ ich noch auf der Welt?“ –
Seht ihr, wie der Blitz dort fällt?


Sie hören’s nicht, sie sehen’s nicht,
Es flammet die Stube wie lauter Licht:
Urahne, Großmutter, Mutter und Kind
Vom Strahl miteinander getroffen sind,
Vier Leben endet ein Schlag –
Und morgen ist’s Feiertag.

 

t

Johann Wolfgang von Goethe (*1749 - † 1832)

 

Der  Totentanz

 

Der Türmer, der schaut zu Mitten der Nacht
Hinab auf die Gräber in Lage;
Der Mond, der hat alles ins Helle gebracht;
Der Kirchhof, er liegt wie am Tage.
Da regt sich ein Grab und ein anderes dann:
Sie kommen hervor, ein Weib da, ein Mann,
In weißen und schleppenden Hemden.

 

Das reckt nun, es will sich ergetzen sogleich,
Die Knöchel zur Runde, zum Kranze,
So arm und so jung, und so alt und so reich;
Doch hindern die Schleppen am Tanze.
Und weil hier die Scham nun nicht weiter gebeut,
Sie schütteln sich alle, da liegen zerstreut
Die Hemdlein über den Hügeln.

 

Nun hebt sich der Schenkel, nun wackelt das Bein,
Gebärden da gibt es vertrackte;
Dann klippert´s und klappert´s mitunter hinein,
Als schlüg´ man die Hölzlein zum Takte.
Das kommt nun dem Türmer so lächerlich vor;
Da raunt ihm der Schalk, der Versucher, ins Ohr:
Geh! Hole dir einen der Laken.

 

Getan wie gedacht! Und er flüchtet sich schnell
Nun hinter geheiligte Türen.
Der Mond, und noch immer er scheinet so hell
Zum Tanz, den sie schauderlich führen.
Doch endlich verlieret sich dieser und der,
Schleicht eins nach dem andern gekleidet einher,
Und, husch, ist es unter dem Rasen.

 

Nur einer, der trippelt und stolpert zuletzt
Und tappet und grapst an den Grüften;
Doch hat kein Geselle so schwer ihn verletzt,
Er wittert das Tuch in den Lüften.
Er rüttelt die Turmtür, sie schlägt ihn zurück,
Geziert und gesegnet, dem Türmer zum Glück,
Sie blinkt von metallenen Kreuzen.

 

Das Hemd muss er haben, da rastet er nicht,
Da gilt auch kein langes Besinnen,
Den gotischen Zierat ergreift nun der Wicht
Und klettert von Zinne zu Zinnen.
Nun ist´s um den armen, den Türmer getan!
Es ruckt sich von Schnörkel zu Schnörkel hinan,
Langbeinigen Spinnen vergleichbar.

 

Der Türmer erbleichet, der Türmer erbebt,
Gern gäb er ihn wieder, den Laken.
Da häkelt -- jetzt hat er am längsten gelebt -
Den Zipfel ein eiserner Zacken.
Schon trübet der Mond sich verschwindenden Scheins,
Die Glocke, sie donnert ein mächtiges Eins,
Und unten zerschellt das Gerippe.

 

i

 

Friedrich Hebbel (*1813 - 1863)

Der Heideknabe

 

    Der Knabe träumt, man schicke ihn fort

Mit dreißig Talern zum Heideort,

Er ward drum erschlagen am Wege

Und war doch nicht langsam und träge.

 

Noch liegt er im Angstschweiß, da rüttelt ihn

Sein Meister, und heißt ihm, sich anzuziehn

Und legt ihm das Geld auf die Decke

Und fragt ihn, warum er erschrecke.

 

"Ach Meister, mein Meister, sie schlagen mich tot,

Die Sonne, sie ist ja wie Blut so rot!"

Sie ist es für dich nicht alleine,

Drum schnell, sonst mach′ ich dir Beine!

 

"Ach Meister, mein Meister, so sprachst du schon,

Das war das Gesicht, der Blick, der Ton,

Gleich greifst du" - zum Stock, will er sagen,

Er sagt′s nicht, er wird schon geschlagen.

 

"Ach Meister, mein Meister, ich geh, ich geh,

Bring meiner Frau Mutter das letzte Ade!

Und sucht sie nach allen vier Winden,

Am Weidenbaum bin ich zu finden!"

 

Hinaus aus der Stadt! Und da dehnt sie sich,

Die Heide, nebelnd, gespenstiglich,

Die Winde darüber sausend,

"Ach, wär hier ein Schritt, wie tausend!"

 

Und alles so still, und alles so stumm,

Man sieht sich umsonst nach Lebendigem um,

Nur hungrige Vögel schießen

Aus Wolken, um Würmer zu spießen.

 

Er kommt ans einsame Hirtenhaus,

Der alte Hirt schaut eben heraus,

Des Knaben Angst ist gestiegen,

Am Wege bleibt er noch liegen.

 

"Ach Hirte, du bist ja von frommer Art,

Vier gute Groschen hab ich erspart,

Gib deinen Knecht mir zur Seite,

Dass er bis zum Dorf mich begleite!

 

Ich will sie ihm geben, er trinke dafür

Am nächsten Sonntag ein gutes Bier,

Dies Geld hier, ich trag es mit Beben,

Man nahm mir im Traum drum das Leben!"

 

Der Hirt, der winkte dem langen Knecht,

Er schnitt sich eben den Stecken zurecht,

Jetzt trat er hervor - wie graute

Dem Knaben, als er ihn schaute!

 

"Ach Meister Hirte, ach nein, ach nein,

Es ist doch besser, ich geh′ allein!"

Der Lange spricht grinsend zum Alten:

Er will die vier Groschen behalten.

 

"Da sind die vier Groschen!" Er wirft sie hin

Und eilt hinweg mit verstörtem Sinn.

Schon kann er die Weide erblicken,

Da klopft ihn der Knecht in den Rücken.

 

"Du hältst es nicht aus, du gehst zu geschwind,

Ei, Eile mit Weile, du bist ja noch Kind,

Auch muss das Geld dich beschweren,

Wer kann dir das Ausruhn verwehren!

 

Komm, setz dich unter den Weidenbaum

Und dort erzähl mir den hässlichen Traum,

Mir träumte - Gott soll mich verdammen,

Trifft′s nicht mit deinem zusammen!"

 

Er fasst den Knaben wohl bei der Hand,

Der leistet auch nimmermehr Widerstand,

Die Blätter flüstern so schaurig,

Das Wässerlein rieselt so traurig!

 

"Nun sprich, du träumtest - "Es kam ein Mann -"

"War ich das? Sieh mich doch näher an,

Ich denke, du hast mich gesehen!

Nun weiter, wie ist es geschehen?"

 

"Er zog ein Messer!" - "War das, wie dies?" -

"Ach ja, ach ja!" - "Er zog′s?" - "Und stieß -"

"Er stieß dir′s wohl so durch die Kehle?

Was hilft es auch, dass ich dich quäle!"

 

Und fragt ihr, wies weiter gekommen sei?

So fragt zwei Vögel, sie saßen dabei,

Der Rabe verweilte gar heiter,

Die Taube konnte nicht weiter!

 

Der Rabe erzählt, was der Böse noch tat,

Und auch, wies der Henker gerochen hat,

Die Taube erzählt, wie der Knabe

Geweint und gebetet habe.