26-Landin-Die Stille Pauline am 01.04.2019

26. Die stille Pauline

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„Die stille Pauline“ war für die Landiner das Tor zur Welt. Mit der Kleinspurbahn von Rathenow waren die Dörfer Stechow, Ferchesar, Kotzen, Landin, Kriele, Haage und Senzke am Eisenbahnnetz in ganz Deutschland angeschlossen. Sie fuhr von Rathenow nach Paulinenaue, daher der Name „Die stille Pauline“ und eine Abzweigung von Senzke führte auch zur „Stadt Nauen“, wie man früher sagte, denn es gab ja noch das Dorf „Hohennauen.“

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Einmal fuhren zwei Landiner, Fritz Mewes und Gerhold Müller mit der Kleinbahn von Landin zur Stadt Nauen, als in Haage ein neuer Fahrgast einstieg und gleich auf Gerhold Müller zuging, ihm die Hand schüttelte und fragte: „Wie geht es Dir denn Gustav?“ „Gut, gut, gut,“ antwortete der Angesprochene. „Was machen denn Deine Frau und die Kinder, Gustav?“ „Auch gut,“ erwiderte er. Als der Fahrgast in Pessin ausstieg, verabschiedete er sich überschwenglich und bestellte noch einmal viele Grüße an Frau und Kinder. Nachdem der Zug wieder angefahren war, sagte Fritz Mewes zu seinem Freund: „Du heißt doch gar nicht Gustav und bist doch auch nicht verheiratet und Du hast auch keine Kinder. Warum hast Du nichts gesagt?“ Gerhold Müller erwiderte ihm seelenruhig: “Ja, das ist alles richtig, was Du sagst. Ich kannte den Mann auch nicht, aber sollte ich mich mit ihm streiten?“

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Haltestelle Landin

 

Für die Bauern war „Die Stille Pauline“ überlebenswichtig, wenn im Herbst die Zuckerrüben zur Zuckerfabrik nach Nauen gebracht werden mussten, für den Transport von Kartoffeln, Korn, Obst und Gemüse und für das Schlachtvieh. Alles transportierte „Die Stille Pauline“ – natürlich auch die Menschen, die zum „Inköpen“ (Einkaufen) in die Kreisstadt Rathenow fuhren. Von dort war es dann auch nur ein Sprung nach Berlin. Es gab richtig schöne Bahnhöfe wie in Stechow, aber auch nur Haltepunkte, die einfach zwischen Feldern lagen und doch keine 1000 m weiter von Stechow  schon als „Bahnhof Ferchesar“ bezeichnet wurden. Es gab auch für den damaligen Stress folgendes geflügeltes  Wort, das Agnes Barnewitz zugeschrieben wird: „Wäsche wascht, Mann begraven und nach Stadt jeführt“ (Wäsche gewaschen, Mann begraben und in die Stadt gefahren), wobei damit Rathenow gemeint war. Die Besucher des Adels und aller anderen Familien kamen mit der Stillen Pauline nach Landin, aber auch das Dienstpersonal und die Knechte und Mägde für die Bauern, denn es musste ja noch alles mit der Hand gemacht werden und der Bedarf an Arbeitskräften war besonders im Herbst groß.

 

 

 

 

 

 

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Eisenbahnzug auf einer Postkarte von Kotzen

Wenn sich Besuch bei den von Bredows angesagt hatte, fuhr der Kutscher zum Bahnhof Landin und holte die Gäste pünktlich ab. Die Besucher hatten ja meistens eine briefliche Korrespondenz vorausgeschickt und „Die Stille Pauline“ war berühmt für ihrer Pünktlichkeit. Man konnte die Uhr danach stellen, auch wenn sie immer auf Gäste, die mit der Bahn in Rathenow eintrafen, wartete. Dem Schaffner wurde Bescheid gesagt, dass man die Tante aus Berlin erwartete und dann konnte man in Ruhe alle Koffer, Kästen und Taschen, es gab auch noch Reisekörbe,  in „Die Stille Pauline“ bringen und dann ging die Reise los. Es war ja von Rathenow eine wunderschöne Fahrt durch das Havelland mit seinen Wäldern, Wiesen und Feldern. Ob die Menschen damals dafür Augen hatten, weiß ich nicht, aber heute wäre „Die Stille Pauline“ eine Touristenattraktion. Nach der Landesgartenschau 2006 und nach der Bundesgartenschau 2015 hat es ja eine regelrechte Invasion von Touristen im Havelland gegeben, und ich denke, das wird auch zukünftig ein wichtiges Standbein der Wirtschaft sein. Im Havelland gibt es so manche Sehenswürdigkeit wie die Sieben-Brüder-Eiche in Friesack, der Hochzeitsbaum in Linde und natürlich die Lady Agnes in Stölln. „Die Stille Pauline“ fuhr von 1932  bis zum 31.03.1949 und wurde vom Landkreis Westhavelland betrieben. Sie sollte den Landkreis an die Bahnnetze nach Berlin und Hamburg anschließen. Der Sitz der Verwaltung der Schmalspureisenbahn war in Rathenow.

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 Schmalspurbahn beim Überqueren
des Havelländischen Hauptkanals

Erika Piesche  (*30.08.1917 - † 10.02.2012) aus Bamme hat ein Gedicht über die Stille Pauline geschrieben.

1. Auf die rasende Pauline
stimme ich mit froher Miene
dieses schöne Liedchen an,
das man leicht behalten kann.

2. Ohne Reichsbahn und Benzin
kommt man nicht mehr nach Berlin.
Helfe, wer da helfen kann!
Die Pauline hat´s getan.

3. Rin in die Paulinenschlange,
denn sie wartet nicht mehr lange,
vorn die Milch und hinten wir,
vorwärts heimwärts! Ab dafür.
4. Erst kommt Stechow früh am Tage
und Ferchesar, Kotzen, Haage,
dampft sie dann in Senzke an,
Junge, da ist alles dran.

5. Die Pauline muss rangieren,
Wasser saufen, Lager schmieren,
warten auf den Gegenzug,
Mensch, da haste Zeit genug.
6. Betty Muchow aus Landin,
lässt sie still vorüber ziehn,
denn der Max ihr, lieber Mann,
kam aus Rathenow heut nicht an.
7. Brennt die Sonne heiß am Himmel,
ruckt Pauline mit Gebimmel
plötzlich ab im vierten Gang,
alles fliegt im Wagen lang.
8. Kriele, Retzow, Selbelang,
immer mang die Wiesen mang,
Ribbeck, Berge und sodann
landen wir in Nauen an.
9. Müde und mit steifen Knochen
kommen wir herausgekrochen,
keiner macht sich etwas draus,
denn jetzt sind wir ja zu Haus.
10. Alles stimme mit mir ein:
„Hoch soll sie gepriesen sein!
Und wir rufen dreimal noch:
„ Die Pauline leben hoch!“

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                       Stille Pauline bei Senzke

Nach dem Zweiten Weltkrieg (1939 -1945) wurden die Schienen der Stillen Pauline als Reparationsleistungen abgebaut und in die Sowjetunion (Russland) gebracht und dort sicher eingeschmolzen. Es war ja auch bei den Russen durch den Krieg alles zerstört worden und es war ein schwieriger Wiederaufbau in beiden Ländern zu bewältigen. Man sollte aber die Vision der Wiederinbetriebnahme der „Stillen Pauline“ nicht aus den Augen lassen. Es wäre für den Tourismus wichtig.

 

Copyright: Dr. Heinz-Walter Knackmuß 01.04.2019