25-Landin-Der Sägespäneofen am 01.03.2019

25. Der Sägespäneofen

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Sägespäneofen

Zeichnung: Kathrin Kumbunda

Alwine Jahnke lebte mit ihrem Mann Heinrich und den drei Söhnen in einem kleinen Haus in Landin. Der Mann arbeitete als Kraftfahrer für das Sägewerk Wodke in Rathenow und fuhr einen Tankholzlaster. Der LKW hatte neben dem Fahrerhaus einen runden Tonnenofen, der mit Tankholz befeuert wurde und dadurch ein Gas erzeugte, das den Motor antrieb. Tankhölzer waren Holzstücke vom 20-30 cm Länge und Breite, die extra für den Ofen so geschnitten wurden. Nach dem Krieg 1939 -1945 waren LKW´s rar und jedes Transportmittel hochwillkommen. Im Sägewerk Wodke gab es Sägespäne ohne Ende und man wusste nicht recht, wohin damit? So machten die Menschen aus der Not eine Tugend und die Rathenower Firma „ Ofen und Herdbau“ entwickelte einen Sägespäneofen. Der bestand aus einem runden Metalleinsatz mit einem Loch unten und einem runden Metallofen mit abnehmbarem Metalldeckel und einem Ofenrohransatz. Unten im Metallofen befand sich ebenfalls ein rundes  Loch und darunter ein Metallschubfach. Heinrich hatte von dem Sägespäneofen gehört und seine Frau Alwine bedrängte ihn sofort, so einen Ofen zu beschaffen, denn die Sägespäne bekam er kostenlos von seiner Firma Wodke. Der ganze Schuppen hinter dem Haus wurde nun mit Sägespäne gefüllt und am Nachmittag begann Alwine den Ofeneinsatz mit Sägespäne zu füllen, in dem sie einen Holzstock in das untere Loch des Einsatzes steckte und dann rundherum alles mit Sägespäne vollstampfte. Dann trug sie den Einsatz ins Haus und stellte ihn  in den Ofen. Der Stock wurde herausgenommen, sodass eine kleine Luftsäule in dem Sägespäneofen entstand. Sie verschloss den Ofen mit dem Deckel und zündete in dem Schubfach unter dem Ofen mit Papier ein kleines Feuer an, dass sofort die Sägespäne in Brand setzte und der Metalldeckel manchmal sogar glühte, denn der Brand setzte sich von innen nach außen in der Luftsäule fort. Das dauerte die ganze Nacht hindurch bis zum Morgen. Das Wohnzimmer war mollig warm und es war ein sehr sparsames Verfahren. Aber der Mensch ist ja erfinderisch und bald hatte Alwine herausgefunden, dass, wenn sie ein paar Briketts in die Sägespäne legte, der Ofen noch länger heizte. Nur gab es manchmal das Phänomen, dass die Kohle den inneren Hohlraum, der zum Brennen ja notwendig war, verstopfte und es, wenn die Kohle durchgebrannt war, eine kleine Explosion gab und der Deckel des Ofens ein paar Zentimeter hoch flog. Dann war das Zugloch wieder frei und der Ofen brannte normal weiter. Die Familie hatte sich bald daran gewöhnt und fand an den Eruptionen nichts Ungewöhnliches mehr. Ob eine Gefahr  für eine Rauchgasvergiftung bestand, interessierte damals keinen Menschen. 1954 sollte der älteste Sohn, Siegfried, konfirmiert werden und der Pfarrer kam an einem Wintertag zu den Jahnkes, um alles zu besprechen. Der Vater hatte vorher mit dem Sohn gesprochen und ihn auf die Bedeutung der Konfirmation hingewiesen. „Wenn ich was sage und es ist wahr, kannst Du es glauben,“ sagte er zu Siegfried und die Mutter ergänzte: “So sieht´s aus.“ Alwine hatte den Sägespäneofen in Brand gesetzt und einen Kuchen gebacken. Nachdem der Kuchen angeschnitten war, fragte der Pfarrer, ob er seine Jacke ausziehen dürfe, denn der Ofen hatte das Zimmer wohl auf 40 Grad Celsius gebracht. Das Gespräch über den Konfirmationsspruch und die wichtige Zäsur im Leben des Sohnes war gerade in vollem Gange, als es eine Explosion gab und der Deckel des Sägespäneofens ein paar Zentimeter nach oben geschleudert wurde. Der Pfarrer hatte sich so darüber erschrocken, dass er kurz vor einem Schock stand, aber die Familie beruhigte ihn und lachte und sagte, das sei ganz normal, denn eine Kohle hätte nun wieder die Brandsäule freigegeben. Es wurde die Funktion des Sägespäneofens erklärt, aber der Pfarrer verabschiedete sich doch hastig, er hätte noch einen Termin. Die Sache war ihm anscheinend unheimlich. Zur Konfirmationsfeier kam er aber dann doch mit seiner Frau, hielt sich aber immer in respektvollen Abstand von dem Ofenungetüm.

 

© Dr. Heinz-Walter Knackmuß, 01.03.2019