Handschriftlicher Lebenslauf von Georg Heimerdinger 1902

Nach bestandenem ersten theologischen Staatsexamen bin ich von Halle nach Berlin zurückgegangen. In der Hoffnung, dass mein guter Vater von seiner bereits damals schweren Krankheit dennoch genesen werde, ließ ich mich immatrikulieren, um in der hiesigen Universität Philosophie, Geschichte und Kunstgeschichte als Vorbereitung für das Doktorexamen zu betreiben. Die während des Wintersemesters mit Eifer betriebenen Studien habe ich Ostern abgebrochen. Einmal war durch den Tod meines Vaters Silvester 1898 unsere Lage für das Austragen des Doktorexamens nicht geeignet und dann führten mich eigene Neigung und das bevorstehenden zweiten Examen zu theologischen Arbeiten zurück. Ich hoffe, die Arbeit des Wintersemesters noch später verwerten zu können. Seit Ostern habe ich mit besonderer Liebe Kirchengeschichte betrieben, daneben viel Exegese und Dogmatik. In der Schule von Professor Bill, den ich während des Wintersemesters gehört hatte, konnte ich auch in den ersten Sommermonaten meinen kunsthistorischen Interessen folgen. Reiche Anregung auf diesem Gebiet verdanke ich dem Elternhaus meines Zöglings. Es bildete den Mittelpunkt eines Kreises von hervorragenden Berliner Künstlern und Kunstgelehrten. Reisen nach Dessau und München, die ich mit meinem Zögling unternahm, werden köstliche Erinnerungen aus dieser Zeit meiner Entwicklung bleiben. Immerhin habe ich meiner Liebe zu Kunst doch nur Tage und Stunden der Erholung gewidmet. In regem Verkehr mit zwei Freunden, mit denen ich schon gemeinsam in Halle gearbeitet hatte, habe ich die Theologie und je länger und desto ausschließlicher getrieben. Sie, die wie kein anderes Studium die Anknüpfungspunkte für alle Seiten des geistigen Lebens in sich trägt, die Geist und Herz zugleich befriedigt, ist mir lieber geworden, denn je.

 

Georg Heimerdinger

(handschriftliche Aufzeichnung im Archiv des Konsistoriums der Evangelischen Landeskirche Berlin-Brandenburg-Schlesische Oberlausitz)