40-Handwerk im alten Rathenow

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Bäckerei Thonke (2013)

Im Mittelalter bis herauf in das 18. Jahrhundert bildeten die Zünfte, später  Innungen und Gewerke, einen Eckpfeiler der Städte. So waren von 168 Häusern, die in Rathenow nach Beendigung des Dreißigjährigen Krieges im Jahre 1660 schon wieder einen Besitzer hatten, über zwei Drittel in den Händen von Handwerkern. Infolgedessen ist es erklärlich, dass die Zünfte durch die vier Gewerke in Rathenow, die Tuchmacher, Schneider, Bäcker und Schuhmacher, und ihre sonstigen Vertreter aus der gemeinen Bürgerschaft zusammen mit dem Rat oder auch gegen ihn einen großen Einfluss auf die Entwicklung der Stadt auszuüben vermochten. Doch auch auf das bürgerliche Leben mussten die Innungen und Gewerke schon durch die Zahl ihrer Mitglieder einwirken. Denn da sie in einer geschlossenen Bruderschaft den strengen Bestimmungen der Innungssatzungen unterworfen waren, so war es ihnen nicht nur möglich, dass sie zu Ansehen und Macht kamen und der Stadt ein festes Rückgrat gaben, sondern sie wurden auch ein erzieherisches Vorbild für die Bürgerschaft. Die Artikel sämtlicher Rathenower Innungen stimmen mehr oder weniger, wenigstens in den Hauptgedanken: Pflege des Gemeingeistes und Aufrechterhaltung der Standesehre, überein. Die erste Bedingung, Meister zu werden, war die Erwerbung des Bürgerrechts und der Kauf eines eigenen Hauses. Dadurch wurde der junge Meister nicht nur sesshaft, sondern auch durch die ihm als Hausbesitzer auferlegten Pflichten eng mit der neuen Heimat verbunden. So mussten zum Beispiel die Rathenower Zimmer- und Maurermeister nebst ihren Gesellen mit Picken und Äxten beim Ausbruch eines Feuers erscheinen und es löschen helfen.  Eine andere Forderung, die von nachhaltiger Bedeutung war, betraf die Abstammung und Herkunft des Meisters. Er musste schon als Lehrling in seinem Geburtsbrief nachweisen, dass er von ehrlichen und frommen Eltern abstamme. Auch die Frauen der Meister und die Gesellen waren demselben Gesetz unterworfen, und „derjenige, so aus toller Liebe zufähret und eine rüchtige (berüchtigte) Person heiratet und dadurch dem Handwerk einen Schandfleck anhänget, soll im Handwerk nicht gelitten, sondern daraus verstoßen werden. Die Reinheit der Gesinnung erstreckte sich auch auf das Leben innerhalb des Gewerks. Hohe Geldstrafen, sogar Ausschluss trafen den, der einen Gildebruder mit ehrenrührigen Worten oder handhafter Tat angriff, wer ihn heimlich verleumdete, wer dem anderen Meister die Gesellen abspenstig machte, wer bei der Arbeit sich nicht des Fluchens enthielt, wer vor geöffneter Lade Zank erregte, wer mit der Faust auf den Tisch schlug, wer dem Altmeister ins Wort fiel, wer sich beim Umtrunk übel aufführte. Die innere Sauberkeit sollte sich auch in der Arbeit kundtun. Pfuscher wurden nicht im Handwerk geduldet. Wer schlechte Ware lieferte, wer den Käufer durch falsches Gewicht, durch minderwertige Zeuge, Felle, Leder betrog, wer Bauarbeiten nicht vorschriftsmäßig herstellte, nasses Holz verarbeitete und anderes mehr, verfiel in hohe Strafen. Die Arbeit musste in jeder Beziehung ohne Tadel sein. Das ist der höchste Ruhm des deutschen Handwerks gewesen, dessen heller Glanz die Jahrhunderte vom Mittelalter über die Renaissance und das Barock, bis zum Rokoko Friedrichs des Großen und zum Biedermeier erleuchtete. Die Strafen und die Einstands – und Quartalsgelder der Lehrlinge, Gesellen und Meister waren nicht gering. Sie wurden aber immer zum Besten des Handwerks, zur Unterstützung ins Unglück geratener Gildebrüder und zur Pflege der Kranken und Armen des Gewerks oder der Hospitäler verwandt. Der Gemeinsinn fand in ihrer Anwendung den besten Ausdruck. Auch bei Begräbnissen zeigte sich das Zusammengehörigkeitsgefühl und der Handwerkerstolz der Innung. „Wenn ein Meister oder Meisterin in Gott versterbt, so soll die Gilde verbodet (aufgefordert) werden, bei Straf einer Tonne Bier, dem Leiche zu Grabe nachzufolgen, und den Knechten (Gesellen) soll eine halbe Tonne Bier gegeben werden, dass sie das Leich tragen und beläuten. Sterbt ein Knecht, Magd oder Kind, soll man den Knechten 2 märkische Groschen geben, dass sie es zu Grabe bringen und die Gilde verbodet werden und dem Leiche zu Grabe nachfolgen bei Straf drei Schillinge.“ So verlangten es die Grobschmiede in Rathenow Ende des 16. Jahrhunderts und die Maurer ermahnten 1715 darüber hinaus: „Wann das ganze Gewerk samt ihren Weibern zum Begräbnis verboten (eingeladen), sollen sie an der Türe oder anderswo mit Worten einander nicht schimpflich begegnen, damit das Lachen und öffentliches Ausrufen auf den Gassen nachbleibe, sondern ein jeder soll sein züchtig und seinem Bruder oder Schwester das Geleite geben. Würde aber einer, er sei Meister, Gesell oder Weib, keiner ausgeschlossen, solche unchristliche Tat und Leichtfertigkeit mit Lachen oder anderen Phantasey, wie gedacht, nicht unterlassen, der soll jedes Mal dem Handwerk 3 Groschen Strafe erlegen.“ Und nun folgt die Ordnung, welche die Meister, Gesellen und Lehrlinge sowie die Weiber innehalten sollen, „zu Paaren und nicht durcheinander.“ Die Meister durften bei solchen feierlichen Gelegenheiten Degen tragen, „solange sie sich dessen nicht missbrauchten,“ den Gesellen aber war es durch Edikt vom 6. 8. 1704 verboten worden. Wenn zwei Drittel der Bürger Rathenows den Vorschriften der Innungssatzungen unterworfen waren, so lässt sich wohl mit Fug behaupten, dass durch sie die gesamte Bürgerschaft zum Guten beeinflusst wurde. Man fühlt in diesen Privilegien aus der Rathenower Innungsgeschichte, die für Jahrhunderte die Richtschnur für eine gesunde Entwicklung des Handwerks waren, das Weben des alten Zunftgeistes, der das Handwerk unserer Vorväter so groß gemacht hat. Durch Tatkraft und Einigkeit, Ehrsamkeit und Ehrlichkeit, tüchtige Arbeit, Pflege der Hilfsbereitschaft gegen Kranke und Arme, Sauberkeit im Handwerk und Leben hatten die Meister ein hohes Ansehen. „Ehrt Eure alten Meister, so wahrt Ihr gute Geister!“

 

Copyright: Dr. Heinz-Walter Knackmuß, 13.07.2019, nach Walther Specht