29-Johannisnacht im Schlosspark von Nennhausen

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Schloss Nennhausen (2013)

Mittsommertag! Die Erde ist in gleißendes, flimmerndes Licht getaucht. Nur in den grünen Hallen des Parkes wandelst du im Dämmerlicht. Ein linder Hauch streichelt deine Wangen und hüllt dich in duftende Wolken von Akazien, Holunder, Rosen und Jasmin. Von der Parkwiese weht der Wohlgeruch der Heumahd, und die reifenden Ähren auf dem nahen Acker rauschen leise im Winde. Und nun die Nacht! Im magischen Helldunkel liegt der Park. Durch das dichte Blätterdach der Eichen und Buchen zittern verstohlen Mondstrahlen über Wege, Stämme und Zweige. Glühwürmchen funkeln auf und nieder, und Nachtigallen schlagen im Gezweig. Verwehte Weisen klingen aus dem Dorfe herüber. Du spürst den Flügelschlag einer Eule oder Fledermaus, die lautlos an dir vorüberstreicht. Der balsamene Atem der Blüten verwirrt deine Sinne, und hinter jedem Baum und Strauch hörst du Geister raunen. Es ist eine Nacht voll Zauber und Spuk, voll Sehnsucht und Liebe. Diese Tage und Nächte der betenden Wunder um Johanni des Jahres 1815 waren dem Herrn Kammergerichtsrat Ernst Theodor Amadeus Hoffmann in Berlin gerade recht, um seinen Bruder in Apoll, Friedrich de la Motte Fouque, auf dem Rittergute Nennhausen zu besuchen. Liebte er es doch, den Rätseln des Lebens in der Natur und den Menschen nachzugehen und in seinen Novellen zu gestalten. Diesmal aber kam er als Komponist der Oper „Undine“ nach Nennhausen. Denn er war, wie seine Freunde vor 120 Jahren auf seinen Grabstein schrieben, „ausgezeichnet im Amte als Dichter, als Tonkünstler, als Maler.“ Die „Undine“, das berühmte Märchen Fouques, hatte es ihm besonders angetan, so dass er den Dichter gebeten hatte, daraus ein Opernbuch zu gestalten, nach dem er seine Oper komponieren wollte. Vor kurzem war sie fertig und beim Berliner Intendanten Graf Brühl eingereicht worden. Fouqué und Hoffmann ergingen sich am Nachmittag des Johannistages im eifrigen Gespräch in den Laubengängen des Parkes. Hoffmann, klein und mit spitzem Gesicht, in dem ein Paar listige, graue Augen funkelten, trug einen langschößigen, braunen Frack, eine geblühmte Weste und ein Paar gelbe Nankinghosen. Mit lebhafter Gebärde redete er auf den in der Uniform eines Majors der Landwehr-Kavallerie ruhig neben ihm schreitenden Fouqué ein. Er sei beunruhigt über das Zögern des Intendanten und möchte nun wieder nach Berlin zurückkehren, um sich der Sache persönlich anzunehmen. Außerdem habe er die Gastfreundschaft Fouqués und der verehrten Frau Baronin in den 14 Tagen schon über Gebühr in Anspruch genommen. Fouqué entgegnete ihm, er möge, was das letzte anbeträfe, sich keine grauen Haare wachsen lassen und gern solange bleiben, wie er wolle. Aber er sähe wohl ein, dass eine Unterredung mit dem Grafen Brühl ihre gemeinsame Angelegenheit nur fördern dürfte, und so bäte er um die Gunst, Hoffmann selbst nach Berlin kutschieren zu dürfen. Denn er möchte nach Erledigung ihrer Geschäfte mit ihm und Chamisso dann noch einen ganzen Tag im Garten des Schlosses am Heiligen See „in heller Poesie“ zubringen. Während Hoffmann ihm dankend sein Einverständnis mit dem Vorschlag aussprach, sahen beide von dem Schloss her einen Herren, der ein Papier in der Hand schwenkte, auf sich zueilen und erkannten in ihm den Hofschauspieler Ludwig Devrient, dem zu ihrem Erstaunen auch Adalbert von Chamisso und Frau von Fouqué langsam folgten. Devrient überreichte einen an Komponisten und Dichter gemeinsam gerichteten Brief des Grafen Brühl, in dem dieser ihnen mitteilte, dass die Oper „Undine“ künftigen Herbst als Haupt- und Staatsoper gegeben werden sollte. Der berühmte Architekt und Maler Karl Friedrich Schinkel würde die neuen Dekorationen und Maschinen dazu entwerfen, die auf 8 – 10.000 Taler verwandt werden sollten! Die allgemeine Freude über diese Nachricht würzte auch das Mahl, an dem auch der Schwiegervater Fouqués, der ehrwürdige Herr von Briest, und seine Gemahlin teilnahmen. Chamisso erzählte begeistert von seiner auf mehrere Jahre berechneten Weltumsegelung, die er als Naturforscher auf der russischen Brigg „Rurik“ im Juli antreten wollte, und bedauerte nur, dadurch solange den Freunden fernbleiben zu müssen. Er sei daher heute mitgekommen, um Abschied von dem ihm liebgewordenen Nennhausen und seinen freundlichen Wirten zu nehmen. Hoffmann und Devrient ließen alle Teufelchen ihrer guten Laune springen, und Frau von Fouqué, die sich unter dem Namen „Serena“ gleichfalls als Schriftstellerin produzierte, zog geistreich und witzig alle Register ihres heiteren Temperaments. Sie war aber, wie der ironische Hoffmann sagte „als Hausfrau besser als sich literarisch drucken lassend.“ Der wenig gesprächige Fouqué hörte vergnügt zu und warf nur zuweilen ein Wort in die Unterhaltung. In diese Heiterkeit drang plötzlich von außen Musik. Hoffmann horchte und sagte dann aufspringend zu Devrient: „ Ah Undine! Das ist also die Überraschung, von der du mir vorhin zuflüstertest, ohne die der Tag nicht enden sollte!“ Devrient erhob sich ebenfalls und rief mit komischer Grandezza
„Ich bitte den hohen Adel und das verehrliche Publikum mir geneigtest zu folgen und unter der großen Buche Platz nehmen zu wollen.“ Als das geschehen, trat der große Künstler auf die Terrasse und deklamierte mit Herzlichkeit die „Zueignung“ Fouques an Undine. Und nun strömten aus dem hinter einem Gebüsch versteckten kleinen Orchester die wundervollen Tonfolgen der Hoffmannschen Oper in die milde Abendluft, sich mit den Stimmen der vor der Terrasse tretenden Sängerinnen und Sänger, bald einzeln, bald im Zwiegesang, bald im Chor zu einem unbeschreiblich schönen Klange vereinigend. Selbst der Himmel schien an dem reizvollen musikalischen Schauspiel sein Gefallen zu haben, denn als im Schlussgesang ihren treulosen Geliebten zu sich in ihr Reich holte und der Chor leise verklang, stiegen Nebel aus der Parkwiese auf und verhüllten zeitweise das schöne Paar, und des Mondes bläuliches Licht beleuchtete geisterhaft die wogenden Schwaden. Tief ergriffen schauten alle auf dies seltsame Naturspiel. Dann aber sprang Fouqué, dem die Tränen aus den Augen liefen auf und fiel Hoffmann um den Hals: „ Mit dieser Oper haben sie sich den Amadeus des göttlichen Mozart mit Recht verdient!“ Hoffmann hatte nämlich aus Liebe zu Mozart seinen Namen Wilhelm in Amadeus verwandelt. Überall brach nun der Jubel los, bei den Zuhörern, Darstellern und Musikern, und es wurde ein Wirrwarr ohnegleichen, bis Frau von Fouqué – „grande e maestoso“, wie Hoffmann witzig bemerkte – in die Hände klatschte und rief : „ Nun alle ins Schloss zur Feier des Johannistages!“ Küche und Keller mussten hergeben, was sie konnten, und nun erfuhr die fröhliche Gesellschaft, wie die Überraschung zustande gekommen war. Als Ludwig Devrient durch den Grafen Brühl von der Genehmigung zur Aufführung gehört hatte, beschloss er mit Chamisso, den Freunden in Nennhausen eine besondere Freude zu machen, und lud die Mitglieder der Hofoper ein, auf mehreren Wagen dorthin zu fahren. Er fand begeisterte Zustimmung, und sie folgten ihm gern. Alles war dann so schön geworden, wie es keiner zu hoffen gewagt hatte, so dass Hoffmann, als schon der Morgen durchs Fenster dämmerte, ausrief: „An einem solchen Johannistage möchte ich wohl sterben!“ Und der Himmel erfüllte ihm auch diesen Wunsch, als er ihn am 25. Juni 1822 aus seinem ruhelosen Leben heimrief. Vorher hatten er und Fouqué aber noch die Freude, am 3. August 1816 ihre gemeinsam geschaffene Oper im Königlichen Schauspielhause mit großem Beifall aufgeführt zu sehen. Sie wurde dann noch vierzehn mal wiederholt. Als aber am 29. Juli 1817 das Schauspielhaus mit sämtlichen Dekorationen und Kostümen abbrannte, wurde die Oper nicht wieder gegeben. Das ist die Mär von der reinen, beseligenden, Untreue und Tod überwindenden Liebe der schönen Undine, wie sie mir einst eine laue Johannisnacht im Park zu Nennhausen offenbarte.