Biografie von Superintendent Johann Christoph Schinnemeier

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Seitenbeutel
mit Blick auf die Sankt-Marien-Andreas-Kirche
(Gemälde von E. Raumann der Familie Mispel)

In der Sankt-Marien-Andreas-Kirche hingen früher die Gemälde der Superintendenten Lüssow, Voitus, Winkler, Goltz, Töpfer und Schade. Von dem bedeutendsten Superintendenten , Johann Christoph Schinnemeier, der von 1738 -1751 in Rathenow war, fehlte solch ein Abbild. Er war am 08.01.1696 geboren und stammte aus Nordhausen. Er studierte in Halle Theologie und war sieben Jahre lang an der Lateinschule der Frankeschen Stiftungen tätig. 1727 - 1730 war er Prediger und Lehrer am Waisenhaus in Potsdam, von 1730 -1737 Prediger in Stettin, wo er ein Waisenhaus und ein Volksschullehrer-Seminar gründete. Ein Streit mit den Behörden war Anlass, nach Rathenow überzusiedeln. Am Sonntag, den 31.08.1738 hielt er seine Antrittsrede in Rathenow, in der folgende Grundsätze aufstellt: „Die erbarmende Liebe soll auch der Grund meiner ganzen zukünftigen Amtsführung unter euch sein. – In der Predigt selber will ich mich aller möglichen Einfalt und Deutlichkeit befleißigen und so predigen, wie Lutherus es verlanget, dass es Hans hinter der Türe auch versteht.- Hiernächst soll mein vornehmstes Werk sein, mich eurer Kinder anzunehmen und deren nützliche Erziehung zu besorgen. Zu dem Ende werde ich entweder Schulen anlegen oder die, die da sind, zu verbessern suchen. Sind arme Kinder, die kein Schulgeld geben können, so will ich solche umsonst unterrichten lassen. Die Welt ist böse und undankbar, aber so böse soll sie nicht sein, dass sie mich überböse.“ Es waren dieselben Grundsätze, die er als zweiter Pastor an der Johanniskirche zu Stettin, dank seiner machtvollen Persönlichkeit, durch Gründung eines Waisenhauses, einer „teutschen Knaben-und Mägdleinschule“ und eines Lehrerseminars verwirklicht hatte. Man sollte meinen, dass die Stadt Stettin und die geistlichen Behörden mit Freude dieses Unternehmen begrüßt und unterstützt hätten. Aber – Kollege ist, wenn man dem anderen nichts gönnt. Das war schon vor tausend Jahren so, und nach aber tausend Jahren wird man immer noch beten: „Vor eym Collegen behüt uns lieber Herre Gott!“ Schinnemeiers eigene Amtsbrüder mit dem Generalsuperintendenten an der Spitze, eiferten gegen die „Schinnemeierei“, das heißt gegen seine selbständige Stellung den Behörden gegenüber, gegen sein praktisches Christentum, seine verständlichen und packenden Predigten, seine Seelsorge, Opferwilligkeit und Uneigennützigkeit und seine große Anhängerschar. Die Folge war, dass ihnen Schinnemeier in seinen Predigten eine Spiegel vorhielt, in dem sie sich sahen, wie sie wirklich waren. Wer aber die Wahrheit geigt, dem schlägt man die Geige an den Kopf. Schinnemeiers Widersacher gewannen die Oberhand. König Friedrich Wilhelm I. hob das Waisenhaus auf und übertrug die Schule und das Seminar dem Generalsuperintendenten. Die Frage, ob das nur geschah, um den kirchlichen Frieden wieder herzustellen, oder ob der König den Herren Gelegenheit geben wollte, ihre Unfähigkeit zur Leitung der Schinnemeierschen Anstalten zu beweisen, findet ihre Antwort von selbst darin, dass die zahlreichen „Schinnemeierianer“ voll Empörung keinen Pfennig mehr hergaben und dadurch das ganze, mit unendlicher Liebe und Mühe aufgebaute Werk aufflog, da das Konsistorium keine Geldmittel zu seiner Erhaltung herbeischaffen konnte. Das der tatkräftige Schinnemeier vollends ein Pastor nach des Soldatenkönigs Herzen war, bewies dieser ihm von neuem – er hatte ihn vorher schon persönlich an das Militärwaisenhaus in Potsdam und auch nach Stettin berufen – dadurch, dass er im 1738 die Superintendentur in Rathenow übertrug. In Rathenow ging der neue Superintendent eifrig ans Werk, die haltlosen Zustände an der Gelehrtenschule und den Winkelschulen zu beseitigen, wo Rektor, Konrektor, Subrektor, Kantor und andere Lehrer sich um die Privatstunden befehdeten und über anderer Nebenarbeit die Schule vernachlässigten. Mit dem Helmstedter Magister und Lizentiaten Friedrich Weise , der 1745 Rektor in Rathenow wurde, führte er seine Schulreform durch. Aber damit war der Zündstoff, der sich bei den Kämpfen um sie aufgespeichert hatte, noch nicht beseitigt, zumal in dem nur 2600 Einwohner zählenden Rathenow die Lehrer mit der Bürgerschaft und dem Rat eng verquickt waren. Dazu kam, dass Schinnemeier, wie es für damalige Zeiten charakteristisch war, an recht deutlichen Anspielungen von der Kanzel nicht fehlen ließ. So schilderte er einmal der Gemeinde an dem Beispiel des Gamaliel aus der Apostelgeschichte (5,34 und 22,3) die Art eines rechtschaffenen, Gott angenehmen Ratsherren, die auch heute noch nicht ausgestorben sei. Gamaliel heißt übersetzt: „Gott versorgt mich.“ Er gehörte zum Hohen Rat der Juden in Jerusalem und unterrichtete Paulus von Tarsus. Wohlgefällig spitzten die ehrbaren Herren vom Rat ihre Ohren und rückten sich auf den Stühlen zurecht, um die nach ihrer Meinung kommende schmeichelhafte Wendung gebührend in Empfang zu nehmen. Statt dessen sahen sie plötzlich den Finger des Superintendenten auf sich gerichtet, und seine Stimme dröhnte ihnen entgegen: „ Aber diese da! Dass Gott erbarm!“ und viele Vorwürfe und Beschuldigungen folgten diesen Worten. Die letzte Szenen spielt wieder in unserer schönen, ehrwürdigen Kirche. Die Gemeinde war vollzählig versammelt, um noch einmal ihren Superintendenten zu hören, der ihnen viel Gutes getan hatte. Denn die Spannung zwischen ihm und dem Rat war so gewachsen, dass er vorzog, seinen Stab weiterzusetzen. Allein der Magistrat, der die Veranlassung dazu war, sah der Abschiedspredigt mit Zagen entgegen, da er fürchtete dass wie in Stettin, auch ihm seine Sünden noch einmal gründlich vorgehalten würden. Um dem zu entgehen hatte er einen heimlichen Anschlag entworfen, bei dem es nur darauf ankam, dass er auch im richtigen Augenblick glückte. Schinnemeier predigte und die Gemeinde hörte ihm, der nun dreizehn Jahre ihr Seelsorger gewesen war, andächtig zu. Da, als er den ersten Teil seiner Predigt beendigt hatte und er sich anschickte zu der gefürchteten Anwendung überzugehen, ertönte plötzlich in die lautlose Stille von draußen Feueralarm. Alles sprang auf und stürzte den Ausgängen zu. Schinnemeier suchte die Gemeinde zurückzuhalten, bis sie wenigstens den Segen empfangen hätte. Aber niemand hörte auf ihn, und so rief er voll Zorns den Flüchtenden nach: „ Des Segens begehret ihr nicht, so nehmet denn den Fluch“. Das war sein Abschied von Rathenow, den der „wohlweise und ehrbare“ Rat aus Furcht vor der Wahrheit durch blinden Feueralarm in eine Groteske verwandelt hatte, nach dem Wort: „ Es geschiehet viel aus heimlichen Hass und muss doch Namen haben, als geschehe es von Amts- und Rechtswegen.“ Schinnemeiers Hoffnung, „die Freude zu erleben, wie unsere Schule bei In- und Auswärtigen in guten Ruf stehen möge“, konnte sich dadurch für ihn nicht mehr erfüllen.
Er war bis zu seinem Tode am 01.07.1767 in Tönningen, wo es ihm nicht besser ging. Verheiratet war er mit Amalia Emerentia Lieberkühn, der Schwester des Leibarztes  Friedrich des Großen. Einer seiner Söhne, Johann Adolf Schinnemeyer, war Prediger in Stettin und Konsistorialrat in Pommern.

 

Copyright:Dr. Heinz-Walter Knackmuß, 09.07.2019 nach Aufzeichnungen von Walter Specht