Das Gespensterhaus in Rathenow

Bei einer Einquartierung durch die Schweden fand sich in der Stadt kein Raum mehr für eine Kompanie, die noch untergebracht werden musste. Der Rat meldete, es sei nur noch ein einziges Haus übrig, welches aber der Gespenster wegen, von welchen es alle Nächte lang beunruhigt werde, unbewohnbar sei. Man lachte darüber , das eine Kompanie braver Soldaten, die schon so vielen Schlachten beigewohnt, sich vor ohnmächtigen Gespenstern scheuen sollte. Sie wurde also in das Haus einquartiert, und man ließ einen guten Vorrat von Speisen und Getränken und eine Anzahl Spielleute herbeischaffen, um die Nacht lustig hinzubringen. Mitten in diese Herrlichkeit, vermutlich in der Gespenstern gewöhnlichen Spukstunde, tritt ein Mann in der Gestalt eines Pächters, mit einem Bündel Akten unter dem Arm und mit einer Peitsche in der Hand, ins Zimmer und hinter ihm drein eine Frau mit einem großen Bund Schlüssel. Beide stellten sich neben die Stubentüre, um genau zu sehen, was da vorgeht. Die tanzende Gesellschaft macht eine Pause und sah sich nach ihren ungebetenen Gästen um. Nach einer kleinen Weile wurde das Stillschweigen durch ein von den Soldaten aufgeschlagenes Gelächter unterbrochen. Der Mann mit der Peitsch und die Frau mit dem Schlüssel bewaffnet, fielen über die erschrockenen Helden her, dass der größte Teil von ihnen den Weg aus dem Hause durch das Fenster suchen musste. Die wenigen Zurückgebliebenen jagte das weibliche Gespenst zur Türe hinaus. Hinter dem Ofen lag ein Marodeur, welcher aus Müdigkeit keinen Teil an der Trink- und Tanzlust genommen, sondern sich dem Schlafe überlassen hatte. Dieser erwachte endlich von dem Lärmen und wollte gleichfalls durch die Tür entfliehen. Das Weib aber bemühte sich, ihn davon abzuhalten und sagte:“ Liege du nur stille, dir wollen wir nichts tun, du hast uns nicht ausgelacht.“ Er hielt es aber doch nicht für ratsam, in einer so sonderbaren Gesellschaft zu verharren, und die beiden Gespenster bleiben Meister von der Walstatt.
In dieses fürchterliche Haus wagte sich nun einige Zeit darauf mit Billigung des Magistrates der Inspektor (Superintendent) und Prediger Matthias Lüssow, um ein nächtliches Verhör anzustellen und näher auf den Grund der Sache zu kommen. Ein Buch zum Lesen und das nötige Schreibgerät nahm er mit. Zwei Lichter brannten vor ihm auf dem Tische, und jemand, vielleicht sein Küster, der nicht so herzhaft war wie sein Pastor, musste auf der Straße um das Haus aufpassen, um im Fall der Not bei der Hand zu sein. Gegen Mitternacht öffnete sich die Türe des Zimmers, und der Mann mit seinen Akten und mit seiner Peitsche trat herein ohne allen Spott und stellte sich ganz bescheiden und ehrerbietig an seinen Ort. Inzwischen verlosch aber doch in dem selben Augenblick das eine von den auf dem Tische brennenden Lichtern, welches aber der immer ruhige Lüssow hurtig bei dem anderen wieder anzündete. Gleich darauf erschien auch die Frau, und das zweite Licht verlosch. Sofort zündete der kühne und vorsichtige Mann solches bei dem ersten wieder an, und nun sah er sich nach den beiden Erscheinungen um. Auf die an sie getane Anrede : ,, Alle guten Geister loben Gott den Herrn ‘‘, neigten sie sich höflich. Nun fuhr er fort: „So kommt näher heran und sagt, was euer Begehren sei und was ihr hier zu suchen habt?“ Hierauf ließ sich der Mann mit einer umständlichen Erzählung heraus; er sei ehedem der Besitzer dieses Hauses gewesen und habe gewisse Güter, die er namentlich aufführte, in Pachtverwaltung gehabt. Davon sei aber dieses und jenes veruntreut worden und in unrechte Hände geraten. Wenn also dieses wieder in Ordnung gebracht würde, so würde er Ruhe bekommen.
Ebenso pünktlich und offenherzig berichtete auf Verlangen des Predigers Lüssow die Frau, wie sie teils ihr Gesinde, teils andere Leute, teils in dem, teils in jenem Stück übervorteilt habe, würde auch dieses berichtigt und jedem das Seine ersetzt werden, so würden sie und infolgedessen auch das Haus künftighin Ruhe genießen.
Herr Matthias Lüssow schrieb dieses alles nieder und machte sich anheischig, dafür zu sorgen, dass alles möglichst wieder in Ordnung gebracht werden solle. Er erteilte den Geistern den Abschied mit den Worten: „ Nun, so gehet hin in Frieden in eure Gruft, bis euch Christus zum allgemeinen Gericht wieder ruft.“ Die Geister verneigten sich und gingen ab.
Des Tags darauf brachte Matthias Lüssow sein Protokoll aufs Rathaus. Man sah in den Archiven nach und fand Spuren der Wahrheit von dem, was die Geister ausgesagt hatten und brachte, so gut es die Umstände erlaubten, alles wieder zu Rechte. Das nunmehr von Gespenstern befreite Haus wurde seinem Befreier als Eigentum geschenkt und hat geraume Zeit das Lüssowsche Haus geheißen, bis es endlich verkauft worden ist und einen anderen Namen bekommen hat.

(Quelle:Specht, Hie gut Brandenburg, Band 3)