Die Legende vom Grafen von Gleichen

 

 

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Wachsenburg - eines der Burgschlösser der Grafen von Gleichen
im Ilm-Kreis (Thüringen) - Die Kreisstadt  des Ilm-Kreises ist Arnstadt


Der Graf von Gleichen - eine Legende
Ein Graf von Gleichen, den viele Leute in Erfurt gekannt haben, hatte mit seiner Gemahlin ein ehrbares Leben geführt. Als er an einem Krieg gegen die Türken teilnahm, wurde er in einem Treffen gefangen genommen und vom Sultan in die Türkei geführt. Nachdem er dort längere Zeit in Gefangenschaft zugebracht hatte und zu anstrengenden ländlichen Arbeiten verwendet worden war, sah ihn die Tochter des Sultans, als sie lustwandelte, trat sogleich an ihn heran und fragte ihn, auf welche Weise er dorthin gekommen wäre? Wie sie sich mit ihm unterhielt, wurde sie von seiner Gestalt und Gewandtheit so eingenommen, dass sie von Liebe ergriffen wurde. Sie machte ihm deshalb den Vorschlag, ihn gegen das Versprechen der Ehe aus der Gefangenschaft zu befreien und mit ihm in seine Heimat zu fliehen. Als der Graf hierauf entgegnete, dass er bereits eine Gemahlin und Kinder in seiner Heimat besäße, antwortete sie ihm, das könnte kein Hindernis sein, weil die türkische Sitte es mit sich brächte, dass ein Mann zwei oder mehrere Frauen hätte. Auf diese Äußerung hin erklärte sich der Graf gern einverstanden und versprach ihr Treue.
Die Sultanstochter bewirkte hierauf sofort seine Befreiung und ging mit ihm davon. In Venedig fand er einen seiner Diener, der ihn schon lange gesucht hatte und von dem er erfuhr, dass es seiner Gemahlin wie den Kindern und der übrigen Familie wohl erginge. Nachdem der Graf das vernommen hatte, begab er sich nach Rom und trug den ganzen Verlauf der Sache dem Papste vor, wie er nämlich der Sultanstochter Treue gelobt hätte, um seinen Leib zu retten, nicht aber aus Begehrlichkeit und Sinneslust. Der Papst erteilte ihm deshalb Freiheit und Vergebung, ließ ihm auch einen Ablassbrief ausfertigen, worauf der Graf in seine Heimat zurückkehrte.
Die Gattin nahm den Heimgekehrten mit Freuden wieder an, ohne sich durch dessen Verhältnis zur türkischen Fürstin verletzt zu fühlen, vielmehr widmete sie dieser, der sie ja den Besitz des teuren Gemahls verdankte, innige Liebe. Die Fürstin fügte sich auch ihrerseits leicht in die Gräfin, sodass beide in der größten Freundschaft und ohne allen Zwiespalt das Leben miteinander verbrachten. Gott aber, der diese Ehe gnädig gestattete, beglückte die wahre oder frühere Gemahlin mit reichem Kindersegen, während der türkischen Fürstin Kinder versagt blieben; doch zog diese gleich einer Dienerin die Kinder der Gräfin auf und pflegte sie mit treuer Liebe.
Die Grabplatte des Grafen von Gleichen mit seinen beiden Frauen, die Fürstin mit einer marmorne Krone geschmückt, die Gräfin mit unbedecktem Haupte und mit ihren Kindern zu ihren Füßen, befindet sich heute im Erfurter Dom.

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Grabplatte des Grafen von Gleichen
mit seinen beiden Frauen
im Erfurter Dom