Geschichte der barocken Kanzel

Die barocke Kanzel in der
Sankt-Marien-Andreas-Kirche
in Rathenow

 


k
Blick auf die Kanzel

 

Die Sankt-Marien-Andreas-Kirche hatte seit 1709 eine barocke Kanzel, die von Johann Vorberg geschnitzt worden war. Johann Vorberg kam aus Reval (Livland). Reval ist der deutsche Name für die heutige estnische Hauptstadt Tallin. Er lebte aber schon längere Zeit in der Altmark. Er hatte die Kanzeln in der Kirche in Kalbe/Milde und in der Kirche in Neuendorf am Damm (1694) geschnitzt und erwarb am 10.08.1696 Stadtrechte in Stendal. Er schloss 1697 die Ehe mit Maria Ahrens in Stendal in der St. Marienkirche. 1709 schnitzte er im Barockstil die Kanzel der Sankt-Marien-Andreas-Kirche in Rathenow. Sie soll eine Kopie der Kanzel in der Kirche von Neuendorf am Damm gewesen sein.

1. Neuendorf am Damm

In Neuendorf am Damm ist von der ganzen Kanzel nur noch der Kanzelträger Mose und der Kanzelkorb erhalten. Es ist ein grobe Schnitzarbeit. Mose trägt die Gesetzestafeln an der linken Körperseite. Die zehn Gebote werden mit römischen Ziffern auf den zwei Tafeln dargestellt, wobei für das vierte Gebot nur vier Striche genommen werden. Die farbige Bemalung der Holzfigur und der Kanzel geben uns aber eine Vorstellung von der lebendigen Wirkung der ebenso bunt bemalten Kanzel in der Sankt-Marien-Andreas-Kirche, denn die Kanzel in Parey an der Elbe weist diese Farbenvielfalt nicht auf.

k
Mose als Kanzelträger
Rest der Kanzel in Neuendorf am Damm

 

 

 

 

2. Parey

Als im Jahre 1700 der Schulmeister Bartholomäus Voigt in Parey an der Elbe eintraf, fand er eine am 15.10.1699 neu eingeweihte Steinkirche vor, die die alte Holzkirche abgelöst hatte. Da auch das Innere der Pareyer Kirche ausgestaltet werden musste, beauftragte man den Bildhauer Johann Vorberg mit der Herstellung des Altars und der Kanzel. Die ostelbischen Dörfer wurden damals von den Gutsherren beherrscht, die auch meist die Patrone und Geldgeber für die Kirchenbauten waren. Zur Dorfhierarchie gehörten neben dem Gutsherrn, der Pfarrer, der Schulmeister  und die größten Bauern. In Parey befanden sich damals zwei Rittergüter. Das Rittergut I gehörte dem Freiherrn von Plotho und das Rittergut II dem Kammerherrn von Plotho. Natürlich gehörte die Kanzel und der Altar zu den Aufgaben, die Johann Vorberg auszuführen hatte.

Die überreich mit Schnitzwerk versehene Kanzel zeigt die große künstlerische Fertigkeit des Johann Vorberg. Mose ist nicht so prächtig ausgeführt wie in den Kanzeldarstellungen in Neuendorf oder in Rathenow. Die Farbigkeit der beiden Kanzeln hat hier einer schlichten Beize in Braun weichen müssen. Der schlanke Körper des Mose kann kaum die Last des Kanzelkorbes tragen. Auch sind die 10 Gebote wörtlich zitiert und nicht wie in den andern beiden Kanzeln nur in römischen Ziffern dargestellt. In Parey an der Elbe werden die Gesetzestafeln rechts vor dem Körper gehalten.

 

 

 

 

 

 

k
Mose mit den 10 Geboten als Kanzelträger
in der Kirche Parey an der Elbe

 

Geht man davon aus, dass der Altar und die Kanzel um 1700 entstanden sind, so ist eine deutliche Verfeinerung des Schnitzwerkes im Vergleich zu der in Neuendorf am Damm 1694 entstandenen Kunstwerkes festzustellen. Das Gewand des Mose ist viel eleganter dargestellt. Ein Stab ist neu hinzugekommen. Inwieweit in Neuendorf am Damm viele Dinge der ursprünglichen Kanzel auch so vorhanden waren, kann nicht mehr eruiert werden, weil bis auf Mose als Kanzelträger nichts mehr vorhanden ist. Noch feiner ist dann die Kopie der Neuendorfer Kanzel für Rathenow ausgefallen, sodass hier eine Entwicklung des Künstlers zu sehen ist, die zeigt, dass sein Können doch kleinen Änderungen unterlegen war.

 

 

k

Der Kanzelkorb in der Pareyer Kirche

 

3. Rathenow

Die barocke Kanzel von Johann Vorberg soll eine Kopie der Kanzel in der Kirche in Neuendorf am Damm gewesen sein. Wie man aber an den Fotos deutlich erkennen kann, ist sie doch etwas anders gearbeitet. Es scheint, als hätte Johann Vorberg  hier eine gereifte Meisterschaft an den Tag gelegt, die bei der Neuendorfer Kanzel noch nicht so deutlich zu erkennen war. 1694 wurde die Kanzel in Neuendorf am Damm geschaffen, 1700 die Kanzel in Parey und 1709 die Kanzel in Rathenow. 15 Jahre später hat der Johann Vorberg doch eine andere Auffassung bei der Behandlung der gleichen Thematik gehabt. Die Figuren sind viel feiner und eleganter geschnitzt. Das ist auch schon in Parey zu erkennen und erreicht in Rathenow den Höhepunkt der Darstellung. Die Gesetzestafeln werden wie in Parey rechts vom Körper gehalten, aber nicht wie in Parey mit dem Text der Tafeln, sondern es findet sich nur die symbolische Darstellung in lateinischen Ziffern. Hier wird aber das vierte Gebot nicht mehr mit vier Strichen sondern nach dem üblichen lateinischen Modus fünf minus eins dargestellt. Auch hier ist eine Veränderung deutlich. Die Rathenower Kanzel war viel größer als sonst üblich. Neben Mose als Kanzelträger gibt es noch eine umkränzte Säule, die praktisch einen zweiten Kanzelkorb trägt. Mose ist sehr fein dargestellt. Die Falten seines Umhangs sind sehr sorgfältig gearbeitet. Das schwarze Haar und der schwarze Bart zeigen einen energischen jungen Mann, der von der Ernsthaftigkeit seines Tuns tief geprägt ist. Es war ja auch eine Lebensaufgabe für ihn, das Volk Israel gegen den Willen des Pharaos zu befreien und durch die vierzigjährige Wüstenwanderung nach Israel zu führen. Auch musste er wie Thomas Mann schreibt aus einem „ Pöbelvolk“ das Volk Gottes machen. Da er wie ein Prinz am Hofe des Pharaos erzogen worden war, hatte er natürlich alle Hochschulen des Landes Ägypten besucht und war dem einfachen Volk, was Bildung und Kultur anbetraf, um ein vielfaches überlegen. Selbstverständlich hatte er von den Arztpriestern auch hygienische Vorschriften gelernt, die dem einfachen Volk fremd waren. All dieses Wissen versuchte er nun dem Volk Israel zu vermitteln. Ein schweres Unterfangen, denn natürlich verrichten sie ihre Notdurft, dort wo sie waren, natürlich aßen sie alles Fleisch, natürlich war ihnen der geschwisterliche Beischlaf bekannt. Und nun kam Mose und forderte bei Strafe, ihre Notdurft außerhalb des Lagers zu verrichten und dazu auch noch ein Schäufelchen zu benutzen, dass alles verscharrt werden konnte. Sie durften keine bestimmten Tiere mehr essen, sie durften nicht mehr mit Geschwistern die Ehe schließen.  Alles war neu für sie und Mose scheute sich auch nicht, seine neuen Verordnungen mit Gewalt durchzusetzen.

k


Mose als Kanzelträger in Rathenow

 

Es bedurfte einer strengen Hand, um dieses Volk zu erziehen. Und die Rückschläge blieben ja auch nicht aus, wie die Bibel uns berichtet. Ein rastloser Mann, den Johann Vorberg hier mit den Gesetzestafeln geschnitzt hat und der das Fundament des jüdischen-christlichen Glaubens schafft und der auch im Islam verehrt wird. Also drei große Weltreligionen, die heute noch die Worte des Mose studieren.


k
Barocke Kanzel mit der umkränzten Säule

 

Auf dem oberen Foto ist deutlich die Zweiteilung der Kanzel zu erkennen, die offenbar nur in Rathenow so errichtet wurde. Das Schnitzwerk und die Verzierungen haben hier einen Höhepunkt in Vorbergs Schaffen erreicht. Es gibt leider kaum farbige Aufnahmen oder Gemälde von der Rathenower Kanzel. Die einzig mir bekannte handkolorierte Ansichtskarte aus der Sammlung Dr. Hans-Hermann Schultze in Rathenow ist doch ziemlich ungenau, was die Einzelheiten anbetrifft.
Die  Kanzel und die Apostel waren in den Farben weiß, hellblau und gold bemalt worden.

 

 


k
Aufgang zur barocken Kanzel mit den Aposteln

 

Die zwölf Apostel, die den Aufgang zieren und rund um den Kanzelkorb angebracht sind, stehen auf einem Podest, das den Namen des entsprechenden Apostels vermerkt. Jeder Apostel steht in einer halbrunden Nische und hat die Insignien bei sich, die ihn als solchen kenntlich machen.

 

Die 12 Apostel der  barocken Kanzel

Kanzelaufgang (von unten)
1. Heiliger Bartholomäus  (rechte Hand Schindermesse, linke Hand Buch)

2. Heiliger Matthäus (rechte Hand mit Schreibfeder, linke Hand ein aufgeschlagenes Buch)

3. Heiliger Lucas  (rechte Hand aufgeschlagenes Buch, linke Hand umfasst einen Griff mit Tierfigur) Name am Podest zu lesen S. Lucas
4. Heiliger Petrus (rechte Hand mit Buch, linke Hand mit Himmelsschlüssel) Name am Podest zu lesen S. Petrus

 

Säulenkorb (von links)
1. Heiliger Andreas mit Andreaskreuz

2. Heiliger Judas Thaddäus (rechte Hand ein Buch, linke Hand eine Lanze) Name am Podest zu lesen S. Judas

3. Heilige Simon (rechte Hand ein Buch und linke Hand eine Säge) Name am Podest zu lesen S. Simon

 

Mosekorb (von links)
1. Heiliger Thomas (rechte Hand zeigt leer nach oben, linke Hand mit Buch) Name am Podest  zu lesen S. Thomas

2. Heiliger Jakobus der Ältere mit Schwert (Maurentöter) Das Schwert fehlt  auf manchen Fotos.
3. Heiliger Johannes (Rechte Hand mit Buch, linke Hand mit Kelch) Name am Podest zu lesen S. Johannes

4. Heiliger Philippus Rechte Hand mit Buch , linke Hand  mit Axt) Name am Podest zu lesen S. Philippus
5. Heiliger Jakobus der Jüngere  (in der rechten Hand ein Buch, linke Hand eventuell Tuchwalkerstange) Keine Symbole auf den Fotos exakt zu erkennen.

 

 

 

 

 

 

k

 

Wladimir Nasarowitsch Jegorow

 

In der Nacht vom 28. zum 29.04.1945 wurde die Sankt-Marien-Andreas-Kirche von der Sowjetarmee unter Führung des Leningrader Hauptmanns Wladimir Nasarowitsch Jegorow mit Brandgranaten beschossen und brannte völlig aus. Das einstürzende Dach begrub auch dieses einmalige Kunstwerk. Jegorow wohnte nach dem Ende des  Krieges 1945 in Rathenow. Seine zweite Tochter ist in Rathenow geboren.

 

1996 hat sich ein Förderkreis zum Wiederaufbau der Sankt-Marien-Andreas-Kirche in Rathenow e.V. gebildet, dessen Hauptaufgabe es ist, den Wiederaufbau der Sankt-Marien-Andreas-Kirche zu betreiben. Dem Förderkreis ist es gelungen, mit Spenden die Fenster im Chorraum der Kirche als Kunstwerke neu zu finanzieren, 2002 den Turm wieder aufzubauen und 2010 die Kreuzgewölbe im Mittelschiff neu aufzubauen sowie das marode Dach des Mittelschiffes neu zu decken. 2011 wurden die Kreuzgewölbe in der Marienkapelle neu errichtet und die Fenster im Kirchenschiff mit 5 mm dickem Goetheglas in Rautenform  neu verglast sowie das Dach der Andreaskapelle saniert und ein neues Templerkreuz von Rolf Eißer auf die Spitze gesetzt. In einer Vereinbarung mit der Sankt-Marien Andreas-Gemeinde hat der Förderkreis ein Positionspapier verabschiedet, dass die Kirche so aufgebaut werden soll, wie sie vor der Zerstörung im Jahr 1945 gewesen ist. Das bedeutet auch den Wiederaufbau der Kanzel nach den Vorlagen von Johann Vorberg.  Das einmalige Kunstwerk der Barocken Kanzel ist auch ein Zeichen des Pietismus im Protestantismus und beschreibt damit einen wesentlichen Abschnitt der Kulturgeschichte in der evangelischen Kirche in Brandenburg. Sie wäre von unschätzbarem Wert. Die Nachschnitzung ist allerdings sehr teuer. Eine Kostenschätzung vom 14.09.2018 der Tischlerei Spatzier GmbH in Wiesenburg (Mark) ergab eine Kostenvolumen von 1.090.613,24 €. Bis dahin haben erst einmal andere Aufgaben Priorität, aber es soll diese Option nicht außer Acht gelassen werden. Allen Spendern, die am Aufbau der Kirche zum Lobe Gottes bisher beteiligt waren, sei herzlich für ihr Engagement gedankt. Das Wahrzeichen der Stadt Rathenow, die Sankt-Marien-Andreas-Kirche, hat alle Kräfte der Stadt zusammengeführt und ohne diese Hilfe und Gottes Segen, ist diese riesige Aufgabe nicht zu schaffen.  

 

 

Wir danken 
Christiane Wagner,  Parey an der Elbe,   
Rolf Sobel, Neuendorf am Damm,  
Dieter Seeger,  Rathenow ,
Sebastian Haase, Berlin

für die freundliche Unterstützung der Arbeit.
Sebastian Haase hatte uns 2014 Fotos von seinem Großvater Karl-Heinz Maess vom Fotografen Hermann Ventzke überlassen, die eine Zuordnung der einzelnen Apostel im Treppenaufgang und um die beiden Kanzelkörbe ermöglichten.

 

 

Literatur: Gerhard Voigt: Das Schulmeistergeschlecht Voigt in der früheren Provinz Sachsen im Elb-Havel-Winkel 1700-1860, Bremen, Selbstverlag des Verfassers, 1991

 

 

Auftaktgottesdienst für die Spendenaktion
zur Nachschnitzung der Barocken Kanzel
am 26.09.2021 in der Sankt-Marien-Andreas-Kirche

mit Liturg Kevin Kama

 

Liturg Kevin Kama hielt den Gottesdienst am 26.09.2021 in der Sankt-Marien-Andreas-Kirche. Geichzeitig war das der Auftakt  für die neue Spendenaktion des Förderkreises zur Nachschnitzung der Barocken Kanzel in der Kirche. Die Barocke Kanzel ist 1709 von dem Holzschnitzer Johann Vorberg angefertigt worden und war ein tiefer Ausdruck des protestantischen Pietismus, denn es war eine zweikörbig Kanzel. Die Hauptkanzel zeigte Mose mit den 10 Geboten als Fundament des jüdisch-christlichen Glaubens und den zweiten Kanzelkorb trug eine bekränzte Säule. Um die Körbe und und am Aufgang waren die 12 Apostel dargestellt und auf dem Baldachin stand der segnende Christus. Es war das Spätwerk von Johann Vorberg und zeigt eine gereifte Meisterschaft. Die Tischlerei Spatzier in Wiesenburg (Mark) hat für die Nachschnitzung einen Kostenvoranschalg vom 14.09.2018 vorgelegt, der 1.090.613,24 € beträgt. Es ist also noch ein weiter Weg bis dahin und wie immer gibt es Widerstände auf dem Weg dorthin, aber manchmal ist auch der Weg das Ziel. Der Liturg Kevin Kama erbat im Gottesdienst dazu den Segen Gottes und das ist das Wichtigste, denn ohne Gottes Segen geht gar nichts in der Welt.

i

 

 Video

Copyright: Dr. Heinz-Walter Knackmuß, 26.09.2021

 

 

2von links: Jörg Spatzier, Schatzmeisterin Heidi Maria Binder, Dr. Heinz-Walter Knackmuß, Dirk Spatzier
vor der CNC-Fräse in der Werkstatt Verlorenwasser Nr. 16

 

Am 13.10.2022 besuchten Dr. Heinz-Walter Knackmuß (Vorsitzender des Förderkreises) und Heidi Maria Binder (Schatzmeisterin des Förderkreises) die Tischlerei und Fachwerkstatt für Denkmalpflege in Bad Belzig, Verlorenwasser Nr 16.  Jörg Spatzier ist Tischlermeister und Restaurator im Tischlerhandwerk. Er hatte einen Kostenvoranschlag für die Nachschnitzung der barocken Kanzel gemacht. Jörg Spatzier und sein Bruder Dirk Spatzier haben sich mit ihren 23 Mitarbeitern auf die Restaurierung und Neuanfertigung von Holzdenkmalen spezialisiert. Sie haben ihre kleine Werkstatt in Wiesenburg /Mark in ein neues Gewerbegebiet in Verlorenwasser verlegt und arbeiten mit vielen Fachexperten zusammen. Jörg Spatzier zeigte uns die neue Werkstatt und die CNC-Fräse, die sehr genaue Arbeitsvorgänge ermöglicht. . Die Tischlerei baut jetzt gerade die großen gotischen Fenster für den Turm der Garnisonskirche in Potsdam mit Spezialglas. Der Besuch  dort hat uns gezeigt, dass das der richtige Betrieb ist für die Nachschnitzung. Er arbeitet ganz eng mit dem Denkmalschutz zusammen, der bisher dem Vorhaben nicht zugestimmt hat. Der Förderkreis hat für das Projekt bisher 18.200,00 € gesammelt. Der Kostenvoranschlag beläuft sich für die Nachschnitzung der barocken Kanzel in der Sankt-Marien-Andreas-Kirche auf 1.090.000,00 €. 

 

Dr. Heinz-Walter Knackmuß. 13.10.2022