Biografie von Pastor Ulrich Reinke 19.04.2024

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Pastor Ulrich Hermann Reinke

 

Pastor Ulrich Hermann Reinke wurde am 22.02.1940 in Leipzig geboren. Sein Vater war Chrirurg. und er sollte auch Medizin studieren, wie sein Großvater Dr. med. Wilhelm Reinke und wie sein Vater es getan hatten, aber er ging andere Wege. Seine Eltern waren 1945 nach Schleswig Holstein geflohen. Ulrich H. Reinke studierte an der Theologischen Hochschule in Berlin Theologie und ging später nach Tübingen und Bonn, wo er sein Studium abschloß.  Er wurde Anfang der 70er Jahre im Rheinland zum Evangelischen Pastor ordiniert . 1978 kam er dann nach Bremen, um im Zentralkrankenhaus Bremen-Ost, wie es damals hieß, als Krankenhausseelsorger vor allem in der Psychiatrie zu arbeiten.

Am 30.12.1999 trat er dem Förderkreis zum Wiederaufbau der Sankt-Marien-Andreas-kirche in Rathenow e. V. bei, denn sein Großvater, Dr. med. Wilhelm Reinke, war ein berühmter Chirurg in Rathenow gewesen. 

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Grabmal des Großvaters
Dr. med. Wilhelm Reinke
auf dem Weinbergfriedhof 
in Rathenow

 

Der Chirurg war ein Rathenower Original, der alle Menschen duzte. Als die Freifrau Marie Agnes von Bredow mit einem Tumor im Gesicht bei ihm eschien und er sie fragte: "Was hast du denn?", meinte sie empört:" Wissen Sie denn nicht, wer ich bin? Ich bin Marie Agnes von Bredow." "Na wenn das so ist," sagte Dr. Wilhelm Reinke, " dann bekommst du bei mir zwei Stühle." Die adlige Dame erhob sich darauf empört und verließ fluchtartig seine Praxis. Sie wurde dann in der Berliner Charité vorstellig, wo sich die Chirurgen aber nicht recht an die Operation rantrauten und ihr sagten:" Sie haben doch in Rathenow einen ausgezeichneten Chirurgen, den Dr. Wilhelm Reinke, den würden wir Ihnen empfehlen." Sie ging daraufhin in sich und kehrte reumütig in seine Sprechstunde zurück und bat den Doktor, sie doch zu operieren. Sein Kommentar lautete: "Na siehste Mädchen, nun hab`ich dich ja doch."  Pastor Urich H. Reinke heiratete Jana Reinke und hatte das Glück mit ihr drei Kinder aufwachsen zu sehen -Matthias, Judith und Lucy. Im Alter wurde Pastor Ulrich H. Reinke von einer Parkinsonerkrankung gequält, die ihm eine Pflege in einem Heim aufzwang. Am 08.02.2023 nahm ihn Gott in seine ewige Herrlichkeit auf. Die Trauerfeier fand am 03.03.2023 in der Kapelle des Hastedter Friedhofs in Bremen statt.

 

Copyright: Dr. Heinz-Walter Knackmuß, 19.04.2024

 

Ansprache Trauerfeier Uli Reinke 03.03.2023 von Pastoralreferent Bernhard Memering
„Nun aber bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei: aber die Liebe ist die größte
unter ihnen.“ (1 Kor 13,13)
Diesen Vers aus dem 1. Korintherbrief habt ihr, liebe Judith und Lucy, für die
Trauerkarte eures Vaters Uli ausgesucht. Gut drei Wochen ist es jetzt her, dass er im
Pflegeheim am Osterdeich gestorben ist. Unerwartet zu diesem Zeitpunkt zwar, aber
doch war sein Leben in den letzten Wochen und Monaten immer beschwerlicher
geworden. Die Einschränkungen durch seine Parkinson-Erkrankung haben sein
Leben mühevoll werden lassen. Und doch: bis zum Schluss war er mobil, war er auf
seinen eigenen Beinen unterwegs. Er konnte sich bis zum Tod zwar eingeschränkt,
aber doch frei bewegen. Selbst am Tag seines Todes ist er noch mit seinem Rollator
im Zimmer umher gegangen.
Als ich ihn das letzte Mal Anfang Dezember am Osterdeich besucht habe, da war es
ihm ein Bedürfnis, mir zu zeigen, dass und wie er sich frei bewegen kann: gestützt
auf dem Rollator, in gebeugter Haltung, aber in freier Selbstbestimmung. Dies war
ihm ein Leben lang wichtig: frei zu sein, selbst zu entscheiden, sich nicht eingrenzen
und von außen bestimmen zu lassen. Dies ist ihm bis zu seinem Tod vor drei Wochen
gelungen. Für mich ein tröstlicher Gedanke in der Trauer über seinen Tod.
Glaube – Hoffnung – Liebe, anhand dieser drei Begriffe will ich mich Uli nähern,
dem Uli, der uns Vater, Bruder, Großvater, Freund oder Kollege war. Was hat ihn und
sein Leben geprägt, bestimmt, ausgemacht?
Glaube. Uli war evangelischer Pastor, ordiniert Anfang der 70er Jahre im Rheinland.
1978 dann nach Bremen gekommen, um im Zentralkrankenhaus Bremen-Ost, wie es
damals hieß, als Krankenhausseelsorger vor allem in der Psychiatrie zu arbeiten. Hier
habe ich Uli – und Joost – Anfang der 90er Jahre kennengelernt und viele Jahre mit
ihnen in der Seelsorge zusammengearbeitet. Pastor und Glaube – das gehört doch
irgendwie selbstverständlich zusammen, da muss man doch nicht viel mehr zu sagen,
mögen manche denken. Doch dann kann es sein, dass man unversehens in eine
Schublade gesteckt wird. In eine solche Schublade hat Uli nie hineingepasst. Er hat
sich nicht vereinnahmen lassen für die Bestätigung traditioneller Rollenbilder. Im
Gegenteil: er legte Wert darauf, immer „etwas anders“ zu sein, anders als allgemein
erwartet. Er hat sich oft über Konventionen hinweg gesetzt und war immer für eine
Überraschung gut.
In dieser Weise hat Uli auch seinen christlichen Glauben gelebt. Eindrücklich ist mir
in Erinnerung, wie er eines Tages Anfang der 90er Jahre bei mir an der Haustür
klingelte, in weiblicher Begleitung und mit einer großen Tasche voller
Kleidungsstücke in der Hand. In der Nähe meiner Wohnung, in die ich kurz vorher
mit meiner Familie eingezogen war, wollte er eine Protestaktion gegen den Ausbau
der Kurfürstenallee starten – als großer Kurfürst verkleidet mit einer Perücke und
Kostümen aus dem Fundus des Theaters. Er hatte mich weder gefragt noch
vorgewarnt – er war einfach da und selbstverständlich davon ausgegangen, dass ich
sein Engagement unterstütze, was ich auch getan habe. Es war nicht die einzige
Protestaktion in seinem politischen Engagement, aber die, die mir am
eindrücklichsten in Erinnerung ist und die viel von seiner Persönlichkeit erkennbar
werden lässt. Euch und Ihnen werden sicher noch einige andere Beispiele in
lebendiger Erinnerung sein. So war Uli, immer für eine Überraschung gut.
Überrascht hat er auch seine Eltern mit seiner Entscheidung, Theologie zu studieren
und Pastor werden zu wollen. Das war so nicht vorgesehen. Wie sein Vater und seine
Großväter sollte er Medizin studieren und die ärztliche Laufbahn einschlagen. Doch
Uli wollte etwas anderes, er wollte Menschen nicht sezieren (sein Vater war Chirurg)
und auf den Körper reduzieren, sondern ganzheitlich betrachten, die Seele mit
einbeziehen. So ist er seinem inneren Impuls gefolgt und hat in den 60er Jahren
zunächst an einer theologischen Hochschule in Berlin, später in Tübingen und Bonn
evangelische Theologie studiert. Nicht aus Tradition, sondern aus freien Stücken und
mit der Hoffnung, die Welt etwas friedlicher und menschlicher machen zu können.
Glaube bedeutete für Uli nicht, bestimmte religiöse Überzeugungen oder Dogmen
für wahr zu halten – im Gegenteil, hier hielt er die Freiheit des Glaubens sehr hoch.
Glaube zeigte sich für ihn in der Praxis, im Einsatz für Gerechtigkeit, Menschlichkeit
und Gemeinschaft. Glaube und Hoffnung hängen so eng zusammen.
Hoffnung. Damit bin ich beim zweiten Begriff in der Trias von Glaube-Hoffnung-
Liebe. Hoffnung lässt uns Ungewissheiten besser aushalten. Sie ist die Triebfeder für
Aufbruch und Erneuerung. Sie ermutigt uns, Grenzen zu überschreiten, Neues zu
wagen, Träume zu leben.
Grenzen überschreiten musste Uli schon früh in seinem Leben. 1940 im Krieg in
Leipzig geboren, floh seine Familie mit ihm 1945 nach Schleswig-Holstein. Dort, auf
einem Dorf nahe Büsum in Nordfriesland ist er aufgewachsen mit seinen beiden
älteren Schwestern Almut und Regine (Gigi). Grenzen zu überwinden ist sein
Lebensthema geblieben, Grenzen, die lebensfeindlich sind, Grenzen, die die Freiheit
einengen.
Hoffnung auf Gerechtigkeit, auf Freiheit, auf bessere Lebensbedingungen für alle
Menschen hat Uli in seinem beruflichen und sozialpolitischen Handeln stets
angetrieben. Jeden Monat kam er mit der Unterschriftenliste für Amnestie
International ins Pfarramt in der Klinik, er engagierte sich in der Asylgruppe
„Grenzenlos“ im Ostertor, er setzte sich bei und mit den Grünen für bessere Lebensund
Umweltbedingungen ein. Schon in den 70er Jahren, in seiner Zeit als
Gemeindepfarrer in Wuppertal-Elberfeld, war er in der kirchlichen
Friedensbewegung aktiv, er fuhr ein Auto mit einem riesigen „Atomkraft-Nein
Danke“ Aufkleber auf der Motorhaube, so dass seine politische und
Glaubensüberzeugung unübersehbar war. Gegen den Mainstream für eine bessere
Welt zu kämpfen, das war sein Antrieb, dafür war er Pastor geworden.
So kam er auch 1978 nach Bremen. Die Anzeige für eine Pastorenstelle in der
Psychiatrie hat ihn gereizt. Denn Bremen war damals Avantgarde, Vorreiter in der
Psychiatriereform. Neue Lebens- und Wohnformen für Menschen mit psychischen
Erkrankungen wurden erprobt, die Auflösung der Langzeitpsychiatrie hatte gerade
begonnen. Das traf bei ihm auf fruchtbaren Boden. Ich zitiere Uli selbst, der in
einem Zeitungsartikel im WK zu seiner Verabschiedung vor 20 Jahren gesagt hat: „In
meiner Gemeinde stellte ich fest, wie psychisch Kranke gemieden und an den Rand
der Gesellschaft gedrängt werden.“ Dagegen wollte er etwas tun. In diesem Umfeld
wollte er arbeiten, seinem inneren Auftrag folgend, seiner Überzeugung, dass es gut
ist, die Fähigkeiten und Stärken der Menschen zu fördern und sie ganzheitlich
wahrzunehmen. Damals geschah dies u.a. durch die Seelsorger in der Durchführung
von Patientenfreizeiten und in der sog. Clubarbeit, einem Freizeitangebot für
Patienten außerhalb der Klinik – etwas, was es bis dahin noch nicht gab und was
heute – strukturell verankert – durch professionelle Träger geleistet wird.
Und so ist Uli 25 Jahre in „Ost“ geblieben, hat sich mit Joost die Arbeit und einen
Schreibtisch geteilt. Er hat Patienten über viele Jahre begleitet, ist auf sie
zugegangen, hat sie angesprochen, war stets um Kontakt und Gespräche bemüht.
Dabei ist er oft unkonventionelle Wege gegangen und hat sich als Anwalt derer
verstanden, die keine Angehörigen hatten, die durchs Raster fielen.
Sein Engagement ging weit über seinen Renteneintritt hinaus. Fast 10 Jahre noch hat
er weiter in der Notfallseelsorge Bremen mitgewirkt, bereitwillig Dienste
übernommen und damit Trauernden in der akuten Situation beigestanden. Auch die
seelsorglichen Kontakte in einer gerontopsychiatrischen Einrichtung, Haus
Hohenkamp, und in einem Pflegeheim in Osterholz hat er fortgeführt.
Glaube – Hoffnung – Liebe. Ich komme zum dritten Begriff: Liebe. Bei diesem Wort
gibt es viele Fassetten. Jemand hat Uli mal einen „liebenswürdigen Chaoten“
genannt. Er hat das Chaos gepflegt – aber hatte dabei stets eine liebenswürdige
Ausstrahlung, so dass man ihm das Chaos schnell verziehen hat. Man merkte ihm an,
dass er die Menschen mochte, besonders die, die sonst am Rande stehen.
Bei Liebe geht es immer um Beziehung und Beziehungen. Auf seine eigene Art hat
Uli auch hier das Chaos gepflegt. Da hatten die anderen es nicht immer leicht mit
ihm. Die eigene Familie, die eigenen Kinder kamen manchmal etwas zu kurz. Es hat
Verletzungen und Kränkungen gegeben, verschiedene Lebens- und Liebesabschnitte
mit Jana, der Mutter seiner drei Kinder Matthias – der im letzten Sommer nach
langer, schwerer Krankheit verstorben ist, Judith und Lucy, mit Ranghild und
schließlich mit Mechthild, in deren Grab er heute bestattet wird.
Mir ist ein Satz aus unserem Trauergespräch hängen geblieben, in dem Licht- und
Schattenseiten deutlich werden: knausrig mit sich selbst, aber großzügig zu anderen.
Das war Uli.
Jetzt ist Uli tot. Wir bleiben mit unseren Erinnerungen an ihn zurück. Jede und jeder
auf ihre und seine eigene Weise, mit eigenen speziellen Erfahrungen mit Uli.
Alles, was wir über Uli sagen können, bleibt unvollkommen. So wie es im Schrifttext
aus dem Korintherbrief heißt: „Jetzt schauen wir in einen Spiegel und sehen nur
rätselhafte Umrisse.“ Das Leben eines Menschen ist immer auch geheimnisvoll,
nicht ganz durchschaubar, rätselhaft, nur in Umrissen erkennbar. Unsere Erkenntnis
ist und bleibt unvollkommen.
Was nach dem Tod kommt, wissen wir nicht. Aber wir können glauben – im Sinne
von darauf vertrauen – und hoffen, dass Gott es gut mit uns meint. Dass wir Gott im
Tod von Angesicht zu Angesicht schauen werden. Dass wir erkannt werden mit allen
Fassetten unseres Seins – unverstellt, unverhüllt, in klarer Prägnanz.
Wir nehmen heute Abschied von Uli – doch es bleiben „Glaube, Hoffnung und Liebe,
diese drei: aber die Liebe ist die größte unter ihnen.“ (1 Kor 13,13)
Wir singen jetzt das Lied „Herr, deine Liebe ist wie Gras und Ufer“, ein
Kirchenschlager aus den 70er Jahren, der die Aufbruchstimmung der damaligen Zeit
ausdrückt und uns heute mit Uli und seinen Idealen verbunden sein lässt.
Veröffentlicht mit freundlicher Genehmigung von Pastoralrefernt Bernhard Memering