Wilhelm Röding - Hausmeister der Lutherkirche von 1932 - 1960

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Wilhelm Röding – sein Wirken für die Lutherkirche

(*31.01.1893 – †23.03.1974)

 von

Burkhard Röding

 

 

Es gibt Menschen, die viele Jahre im Hintergrund leben und arbeiten und von denen kaum jemand etwas weiß. Dazu gehörte der Hauswart und Kirchendiener Wilhelm Röding.Er wurde am 31. Januar 1893 in Rathenow geboren. Seine Mutter starb wenige Tage nach der Geburt an Kindbettfieber. Sein Vater, der in einem Betrieb für Brillenetuis arbeitete, heiratete nach einem Jahr erneut, und ihm wurden im Laufe der Jahre noch vier Töchter geboren. Die Familie wohnte zunächst in der Bergstraße. Nebenan befand sich das Vereinshaus des „Evangelischen Männer- und Jünglingsvereins Rathenow“, wo der Vater mitwirkte. 1908 erwarb er ein Haus in der Ruppiner Straße, und sie zogen dorthin um. Wilhelm lernte in der Maschinenfabrik Otto Schmidt in der Semliner Straße den Beruf Maschinenschlosser und ging anschließend, wie es damals üblich war, auf Wanderschaft. Danach kehrte er in die Firma zurück. In seiner Freizeit unternahm er mit seinen Freunden ausgedehnte Wanderungen und Fahrradtouren. Dabei entwickelte sich seine Liebe zur Natur und besonders zu den heimischen Singvögeln.

Im Ersten Weltkrieg wurde er Soldat und musste nach Frankreich, wo er nach einer Verwundung am Bein einige Zeit im Lazarett verbrachte. Im April 1923 heiratete er Elise Merten, die aus einer Sattlerfamilie in Schmergow stammte. Am Ende des Jahres wurde ihr Sohn Werner geboren, 1927 der zweite Sohn Günter. Wie so viele wurde Wilhelm infolge der Weltwirtschaftskrise arbeitslos. Da war es ein Glücksfall, dass er 1932 die Arbeit als Kirchendiener und Hauswart für die neue Lutherkirche erhielt. Dazu gehörte eine mietfreie Dienstwohnung im Obergeschoss. Am 1. Mai 1932 begann sein Dienst, am 28. Mai 1932 erfolgte die feierliche Einweihung der Kirche. Worin bestanden nun seine Aufgaben? Laut Dienstanweisung gehörten dazu das Läuten der Glocken (wurde elektrisch ausgelöst), die Anwesenheit bei allen gottesdienstlichen und kirchlichen Handlungen, das Aktualisieren der Liedertafeln, Öffnen der Türen, Beaufsichtigen der Kollekte, Lüften und Abschließen der Türen. (Ich erinnere mich noch als Kind, wie sonntags auf dem Wohnzimmertisch das Geld aus der Kollekte gezählt, eingerollt und am nächsten Tag zur Kirchenkasse gebracht wurde.) Weiterhin war die Kirche einschließlich des um sie führenden Bürgersteigs in Ordnung zu halten, bei Bedarf von Schnee und Eis zu befreien, bei Glätte zu streuen, die Stühle staubfrei zu halten, die Dekorationen zu wechseln und zu reinigen. Der Kirchenraum, der Konfirmandenraum und der Rote Saal waren zu reinigen und die Fußböden zu wachsen und zu bohnern. Im Kindergarten waren der Fußboden und die Toiletten täglich zu reinigen und die Küche sonnabends zu scheuern. Kleine Schäden waren möglichst selbst zu beheben. Zitat aus der Dienstanweisung: „Bei all diesen Reinigungsarbeiten hat die Ehefrau des Kirchendieners ihrem Ehemann behilflich zu sein. Eine besondere Entschädigung erhält sie dafür nicht.“ Elise Röding, die Ehefrau des Hausmeisters, war Hausfrau und hatte in jungen Jahren eine Haushaltsschule besucht. Sie starb am 21.03.1982 im Pflegeheim Rathenow-Stadtforst im Alter von 87 Jahren. Im Winterhalbjahr war die zentrale Heizungsanlage zu versorgen und zu beaufsichtigen. Sie wurde mit Kohlen geheizt. Rasen, Hecke und Ziergehölze mussten auch ordnungsgemäß gepflegt werden. (Damals und bis in die 1960er Jahre hatten Ordnung und Sauberkeit noch einen höheren Stellenwert. Wie akkurat das dann aussah, kann man auf alten Fotos erkennen.) Ein Nachmittag in der Woche war dienstfrei. Beim Urlaub eines der beiden Kirchendiener der Lutherkirche und der St.-Marien-Andreas-Kirche hatte ihn der andere zu vertreten. Aus der Würdigung des Superintendenten Heimerdinger zum 25. Dienstjubiläum geht hervor, dass Wilhelm Röding streng auf Ordnung achtete und sich gegenüber Kindern und Jugendlichen sowie Älteren Respekt verschaffte. Dann kam der Zweite Weltkrieg und in seinem Verlauf die Bombardierung deutscher Industriestädte. Schon oft hatten alliierte Bomberverbände das Havelland auf dem Weg nach Berlin überquert. Am 18. April 1944 traf es jedoch Rathenow selbst. Das erklärte Ziel waren Standorte der Luftfahrtindustrie und Flugplätze, darunter die Arado-Werke im Rathenower Heidefeld. Kurz vor 15 Uhr fielen die ersten Bomben. Sie trafen die Werkhallen, das Kraftwerk und das Zwangsarbeiterlager. Jedoch wurden auch im Nordostteil der Stadt eine Vielzahl von Häusern getroffen, dazu die Altstadtapotheke, das Apollo-Theater, die Brauerei und die Lutherkirche. Der Angriff dauerte knapp 20 Minuten. Nach der Entwarnung verließen Wilhelm Röding, seine Frau und die dort wohnenden Gemeindeschwestern Charlotte Schulz und Gertrud Trill den Luftschutzbunker am Lutherplatz und eilten zur Kirche, über der schwarze Rauchsäulen aufstiegen. 23 Brandbomben waren auf das Gelände gefallen, davon hatten acht das Dach des Kirchensaals durchschlagen. Die Holztreppe zum Altar brannte bereits in hellen Flammen. Das Löschen dieser Bomben war nur mit Sand möglich, der vorsorglich bereitstand. Ohne Zögern griffen der Kirchendiener und seine Helferinnen zur Schaufel und erstickten die gleißenden Brandsätze. Das war nicht ohne Risiko, denn es hätten auch welche sein können, die verzögerte Sprengladungen enthielten. So konnte die Lutherkirche ohne großen Schaden gerettet werden. Das Arbeitsamt auf dem Nachbargrundstück hatte jedoch einen Volltreffer bekommen und brannte komplett aus. Insgesamt kamen an diesem Tag in Rathenow 56 Menschen ums Leben, 2200 wurden obdachlos. Als in den letzten Kriegstagen auch die St.-Marien-Andreas-Kirche abbrannte, blieb die Lutherkirche der einzige große Raum für kirchliche Veranstaltungen. Nach dem Ende der Kampfhandlungen in Rathenow quartierte sich ein sowjetischer Offizier im Lutherhaus ein, der etwas Deutsch sprach. Das half ihnen durch manche Nöte und gab ihnen Sicherheit im Nachkriegschaos.

Als Wilhelm Röding 1958 das gesetzliche Rentenalter erreicht hatte, übte er seinen Dienst weiter aus. Schließlich wurde im September 1960 ein Nachfolger gefunden. Nun konnte er seinen verdienten Ruhestand antreten und sich ganz seinem geliebten Gartengrundstück widmen.

Am 23. März 1974 ist er nach einem arbeitsreichen Leben im Alter von 81 Jahren friedlich eingeschlafen. Er ist wie seine vier Schwestern, die alle über 90 Jahre alt wurden, und  wie seine Ehefrau Elise auf dem Evangelischen Weinbergfriedhof in Rathenow zur letzten Ruhe gebettet worden.

 

Enkel Burkhard Röding (15.02.2024)