59-Landin-Die Pest in Landin 01.01.2022

 

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Nachtwächter Franz Mewes

1670 gab es in Landin einen großen Streit um ein gutes Stück Ackerland, was einem Bauern Konrad Suhrbier in Kriele gehörte. Der Gutsherr von Landin hätte dem Bauern gern das Land abgekauft, aber der weigerte sich hartnäckig. Das viele Geld lockte ihn nicht, denn er war reich genug und wollte den guten Boden nicht aufgeben. Auch Strohmänner, die im Auftrag des Gutsherrn dem Bauern Unsummen boten, konnten Konrad Suhrbier nicht umstimmen. Das Land war nicht ganz eindeutig in den Besitz des Konrad Suhrbiers gekommen. Seine Frau Rosamunde hatte den wertvollen Acker mit in die Ehe gebracht und meinte dazu, dass die Besitzverhältnisse, so berichtete ihr der Vater, nicht ganz geklärt wären, weil eine Schwester und ihre Nachkommen auch ein Anrecht darauf hätten. Die Schwester hatte aber früh den armen Bauern Otto Barenthin aus Landin geheiratet und hätte aus Kostengründen es sich nie leisten können, ihr Erbrecht durchzusetzen. Ganz klar waren aber die Besitzverhältnisse nie gewesen. Der Vater hatte den Hof doch endlich an den ältesten Sohn gegeben, auch wenn er ihr immer Versprechungen gemacht hatte. Aber man tat das als Gefasel ab. Nachdem die Gutsherrschaft auf ihren vielen Kaufwegen immer gescheitert war, wurde der Acker noch begehrlicher. Endlich boten sie dem armen Bauern Otto Barenthin viele Goldmünzen, wenn er ihnen den Acker verschaffen könnte. Otto Barenthin erhob also eine Klage beim Königlichen Amtsgericht in Rathenow und forderte den Acker für sich ein, da der Vater seiner Frau ihn ihr zugesagt hatte. Der Prozess zog sich über viele Jahre hin und konnte nicht zu einer eindeutigen Klärung führen. Da schwor Otto Barenthin einen Eid, dass der Acker ihm gehöre und das Gericht entschied zugunsten des Meineidigen. Der hatte daraufhin nichts Eiligeres zu tun, als den Acker an den Gutsherrn von Landin zu verkaufen. Der Gutsherr von Landin freute sich sehr und belohnte den Bauern fürstlich. Otto Barenthin wurde aber seines Lebens nicht mehr froh. Das schlechte Gewissen plagte ihn Tag und Nacht. Schließlich bekam er eine entsetzliche Krankheit, die seinen ganzen Körper mit Geschwüren übersäte und er große Schmerzen ertragen musste. Als man ihn auf dem Kirchhof in Landin begraben hatte, fand seine Seele keine Ruhe. In dunklen stürmischen Nächten erschien seine Gestalt den Bewohnern von Landin und schrie und jammerte so sehr, dass sich alle Menschen furchtbar erschraken. Der Nachtwächter Franz Mewes ging jede Nacht durch Landin und schaute nach Ordnung und Ruhe. Besonders wichtig war es für ihn, dass alle Lichter gelöscht wurden und kein Brand entstehen konnte. Für den Brandfall hatte er einen Kirchenschlüssel und konnte so die Glocke läuten, die die Bauern zum Löschen des Feuers herbeiholen sollte. Er hatte immer einen Kirchenschlüssle bei sich, denn er versah auch das Amt des Küsters in der Kirche. Als Franz Mewes in einer stürmischen Herbstnacht wieder seine Runde machte, war es ihm so, als würde er verfolgt.

 

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Der Geist von Otto Barenthin

 

Aber immer, wenn er sich umdrehte, konnte er niemand erkennen. Er hatte zwar eine Laterne bei sich, aber die leuchtete nur ein paar Meter im Umkreis. Schließlich hörte er eine Stimme, die rief: „Küster, schließ mir die Kirche auf!“ Zuerst tat er so, als hätte er nichts gehört, obwohl es ihn etwas gruselte. Aber als die Stimme immer wieder bat: „Küster schließ mir die Kirche auf,“ fasste er sich ein Herz und ging zur Kirche und schloss die Kirchentür auf. Er spürte auch, dass eine Gestalt in die Kirche schlüpfte, aber richtig sehen konnte er nichts. Dann hörte er wieder die Stimme aus der Kirche: „Du hast mich erlöst. Ich will Dir zum Dank sagen, dass die Pest nach Landin kommen wird, aber Du und Deine Familie werden nicht sterben.“ Franz Mewes war kein schreckhafter Mensch, aber ganz geheuer war es ihm nicht. Er schloss die Kirchentür wieder zu und ging sofort nach Hause, wo er alles seiner Frau erzählte. Die meinte, das war der Geist von Otto Barenthin. Also war der Eid doch nicht richtig. Seitdem hat niemand mehr in Landin den Spuk wieder gesehen.

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Dorfkirche Landin

Als 1708-1711 eine Pestepidemie über Preußen kam, erließ der preußische König Friedrich I. am 14.11.1709 ein Gesetz, um die Pest zu bekämpfen. Die Wirtshäuser wurden geschlossen, das Tanzen untersagt und jeglicher Aufenthalt an Stätten der Unzucht verboten. Die Menschen wurden angehalten, in die Kirche zu gehen, der Predigt zu lauschen und Buße zu tun. Es wurden Reisebeschränkungen erlassen, wobei besonders streng darauf geachtet wurde, dass keine handelnden Juden von Ort zu Ort zogen. Die Juden wurden nicht direkt für die Pest verantwortlich gemacht, aber nach alter Tradition suchte man nach Sündenböcken. Erst einhundert Jahre später entdeckte man ein Bakterium, das die Pest verursachte und die Übertragungswege durch die Ratten und den Rattenfloh. Trotz der königlichen Anordnungen kam die Pest auch nach Landin. Das Dorf wurde fast entvölkert. Der Küster Franz Mewes musste fast täglich die Totenglocke läuten. Jedes Mal, wenn jemand im Dorf starb, wurde die Glocke geläutet. Manchmal läutete er die Glocke drei bis viermal am Tag. Der Küster Franz Mewes begrub viele Menschen, erkrankte aber selbst nicht, wie es ihm der Geist von Otto Barenthin vorausgesagt hatte. Seine Frau und all seine Kinder blieben auf wundersame Weise von der Seuche verschont.

 

© Dr. Heinz-Walter Knackmuß, 01.01.2022