3. Der Wiederaufbau der Sterngewölbe 2010

Der Wiederaufbau der Kreuzgewölbe im Kirchenschiff der
Sankt-Marien-Andreas-Kirche

 

n

Erstes Sterngewölbe

 

1. Theologie in Stein
Die Kirchen wurden im Mittelalter streng  nach Osten ausgerichtet. Aus dem Osten kommt das Licht (Ex oriente lux).  Ich bin das Licht der Welt, sagt Jesus von sich. Im Osten befand sich bei fast allen Kirchen der Chorraum, der von den Gläubigen nicht betreten werden durfte. Nur die Priester durften das Allerheiligste betreten und hier das Heilige Abendmahl zelebrieren. In den katholischen und reformierten Kirchen hat sich dieses Verbot verloren. Nur in der griechisch-orthodoxen und russisch-orthodoxen Kirche gilt dieses Verbot bis auf den heutigen Tag. Die Gläubigen dürfen nur bis zur Ikonenwand. Hinter der Ikonenwand befindet sich der Chorraum mit dem Altar, der nur von den Priestern betreten werden darf. Die Rathenower Sankt-Marien-Andreas-Kirche hatte im Chorraum drei Kreuzgewölbe, die symbolisch für Gott als Trinität stehen: Gott-Vater, Gott-Sohn und Heiliger Geist. Im Kirchenschiff befinden sich vier Sterngewölbe, die das Menschliche darstellen. Der Mensch besteht nach der mittelalterlichen Lehre, übernommen von Hippokrates, aus vier Elementen, Blut, Schleim, gelbe Galle und schwarze Galle. Wenn ein Christ in die Kirche eintrat, kam er aus dem dunklen Westen des Turms, ging  durch die vier Sterngewölbe, die ihn selbst darstellten und stand dann vor Gott, denn im Chorraum war durch die gotischen Fenster eine unvergleichliche Lichtfülle, die diesem Raum eine Leichtigkeit und Anmut gab, wie sie nur die Gotik vermitteln  kann. Zählt man die drei Kreuzgewölbe im Chorraum und die vier Sterngewölbe im Kirchenschiff zusammen, kommt man auf die Heilige Zahl Sieben. Am siebten Tag hat Gott geruht und die Christen sollen am Sonntag  Gott loben, anbeten und danken. Bei den Gewölben in der Kirche handelt es sich also auch um in Stein gefasste Theologie.

2.Kleinod märkischer Backsteinkunst
Die Sankt-Marien-Andreas-Kirche in Rathenow ist ein Kleinod märkischer Backsteinkunst. Ihre Anfänge reichen bis in das Jahr 1190. Eine romanische Kreuzbasilika stand in Rathenow. Die Wittelsbacher, als Markgrafen von Brandenburg, förderten in der Mitte des 14. Jahrhunderts besonders den gotischen Umbau der Kirche in Rathenow. Sie brachten die Gotik aus ihrer bayrischen Heimat mit und wir haben das Phänomen zu verzeichnen, dass durch die Backsteintechnik, die gotischen Umbauten in Brandenburg noch vor den Umbauten  in Süddeutschland fertig wurden, denn die Sandsteinumbauten brauchen vergleichsweise viel mehr Zeit. Katharina, eine Tochter Kaiser Karls des IV., wurde am 19.03.1366 in zweiter Ehe mit dem Markgrafen von Brandenburg, Otto V. aus dem Geschlecht der Wittelsbacher in Prag verheiratet. 1380 stiftete sie als Markgräfin von Brandenburg den Marienaltar für die Rathenower  Stadtpfarrkirche  Sankt-Marien-Andreas und dieses Jahr wird  auch als Abschluss des gotischen Umbaus für den kleinen romanischen Chorraum angesehen. 1517 -1535 war dann das Kirchenschiff ohne Gewölbe gotisch umgebaut worden, soweit die finanziellen Mittel reichten. Die Einwölbung des Kirchenschiffes mit vier kunstvollen Sterngewölben erfolgte aber erst 1562. Die Reformation hielt 1539 in Brandenburg ihren Einzug.  Die finanziellen Mittel für die Sankt-Marien-Andreas-Kirche waren aber auch nach der Reformation offensichtlich  so erheblich, dass Bauleute aus dem Sächsischen engagiert werden konnten. Die Rathenower Sankt-Marien-Andreas-Kirche  weist in dieser Hinsicht eine Besonderheit auf, denn es ist in Brandenburg einmalig, dass eine nachreformatorische Einwölbung erfolgte und dass ein sehr aufwendiges Rippendekor verwendet wurde. Dieses Rippendekor ist zum Teil ohne Funktion, wie  man es  sonst nur im sächsischen Raum findet.

 


k

Kirche vor 1945

3. Der Zweite Weltkrieg
Diese Gewölbestrukturen blieben bis 1945 so erhalten. In der Nacht vom 28. zum 29.04.1945 wurde die Kirche von Brandgranaten der Roten Armee getroffen und brannte völlig aus. Die beherzte Gemeinde baute sofort das zerstörte Kirchenschiff wieder auf. Es konnte am 06.09.1959 wieder in einem Festgottesdienst eingeweiht werden. Allerdings fehlten die vier Kreuzgewölbe, die durch Holzwolle-Leichtbauplatten (HWL), volkstümlich auch  Sauerkohlplatten genannt, ersetzt worden waren. Die Seitenschiffe mit den Kreuzgewölben waren zum Glück unversehrt geblieben. Der Chorraum und der Turm blieben als Ruine stehen.


                  k  k

                                         Kirche 1990                                                        Kirche 2010

4. Wiederaufbau der Kreuzgewölbe im Kirchenschiff (2009 -2010)
Der 1996 gegründete Förderkreis zum Wiederaufbau der Sankt-Marien-Andreas-Kirche in Rathenow e.V. hatte sich zum Ziel gesetzt, die Kirche zum Lobe Gottes wieder aufzubauen und zwar so, wie sie vor der Zerstörung im Zweiten Weltkrieg war. 2002 wurde mit Spenden des Förderkreises (287.000,00 €) der Turm wieder aufgebaut. 2009 erhielt die Kirchengemeinde in Rathenow Fördermittel, die es möglich machten, die vier Sterngewölbe im Kirchenschiff und das marode Dach zu erneuern beziehungsweise wieder aufzubauen.

 

Finanzierungsplan

Summe

Fördermittel Bund/Land Brandeburg/Stadt Rathenow

300.000,00 €

Förderkreis zum Wiederaufbau der Kirche

250.000,00 €

Evangelische Landeskirche Berlin-Brandenburg-Schlesische Oberlausitz

125.000,00 €

Kirchenkeis Nauen-Rathenow

75.000,00 €

Aktion "Aus 2 mach 3" der Kirchenbank

66.000,00 €

Sankt-Marien-Andreas-Gemeinde

10.000,00 €

Gesamtkosten für Dach und Gewölbe

826.000,00 €

 

Im Kirchenschiff wurde  im Frühjahr 2009 ein Metallgerüst aufgestellt, dass zwei Arbeitsebenen trug. Die erste Arbeitsebene war für den Wiederaufbau der vier Sterngewölbe im Kirchenschiff gedacht und die zweite darüber gelegene Arbeitsebene war für die Sanierung des Gebälks und  für die Dachdecker vorgesehen, denn es galt alte, morsche Balken auszutauschen und die Dachkonstruktion so zu verstärken, damit die Last der neuen Biberschwänze getragen werden konnte. In dem Metallgerüst waren vier separate Lehrgerüste eingelassen, die mit Holzbalken bis zum Boden des Kirchenschiffes reichten und keine Berührung mit dem Metallgerüst hatten. Die Kreuzgewölbe des Kirchenschiffes wurden auf diesen Lehrgerüsten aus Holz errichtet. Die Rippensteine des Kreuzgewölbes auf der Holzverschalung des Zimmermanns und die Kappensteine ohne Verschalung freihändig.

  
k     k       
Rippenstein                     Kappenstein

 

Weil dieses Aufmauern der Gewölbekappen ohne Holzverschalung vorgenommen wurde, durfte in dieser Bauphase keine Erschütterung auf die Gewölbe einwirken, was das Lehrgerüst aus Holz durch die höhere Elastizität des Holzes gewährleisten sollte. Da die mittelalterliche Bauweise nur noch von wenigen Firmen beherrscht wurde, hatten der Architekt Dr. Krekeler und die Baufirma Roland Schulze umfangreiche Vorarbeiten zu tätigen, die sich vom Frühjahr bis in den Herbst des Jahres 2009 hinzogen. Die theoretische Vorstellung war so, dass man vorhatte, vom Zimmermann ein Lehrgerüst aufbauen zu lassen, dass man je nach Bauabschnitt hin und her schieben könnte, um damit die vier Sterngewölbe im Schiff nach und nach aufzubauen. Bei den genaueren Recherchen stellte man aber fest, dass das Kirchenschiff kein symmetrisches Rechteck darstellt, sondern sich nach Westen zum Turm hin verjüngt. Die Sterngewölbe sehen zwar von unten gleich groß aus, die vier Lehrgerüste mussten aber vom Zimmermann vergattert (angepasst) werden, weil die Rippen zu den Sterngewölben unterschiedlich lang waren.

 

 

k

Das Lehrgerüst

Die theoretische Vorstellung von einem verschiebbaren Lehrgerüst musste auch deshalb fallen gelassen werden, weil von den Säulen im Kirchenschiff Rippen sowohl in das eine wie in das andere Kreuzgewölbe liefen. Die noch vorhandenen Rippensteine wurden bis zu ihren ursprünglichen Ansätzen verfolgt, um darauf die Rippen nach oben führen zu können. Als dies alles geklärt war, ging der Aufbau der Kreuzgewölbe im Kirchenschiff in atemberaubenden Tempo voran. Am 15.09.2009 setzte der Maurermeister Stefan Unkelbach den ersten Kreuzgewölbestein ein.

k

Die Rippen des Gewölbes sind  fertig


Zunächst wurden die Rippen mit Kreuzgewölbesteinen auf der vorgegebenen Holzverschalung aufgemauert. Gleichzeitig wurden zwischen den Rippen die Kappensteine Schicht für Schicht gemauert und sofort von außen verputzt. Dabei wurde so vorgegangen, dass nur ein paar Schichten der Kappensteine gemauert wurden und man sich dann einem anderen Bauabschnitt zuwandte, damit der untere Teil etwas trocknen konnte. Die Rippensteine der Kreuzgewölbe bestehen aus kreuzförmigen Steinen. Man kann nur die tiefe Symbolik des Mittelalters bewundern – Kreuzgewölbe mit Kreuzsteinen aufzubauen. Die Firma Golem aus Sieversdorf bei Frankfurt an der Oder stellt diese schweren Kreuzgewölbesteine in Handarbeit einzeln her, indem der Ton in Formen gegeben wird und dann in den Brennofen kommt. Die Kappensteine werden ebenfalls in Handarbeit angefertigt. Der Ton wurde früher mit einem Teil Sägespäne vermischt und dann gebrannt, sodass ein  leichter, poröser Kappenstein entsteht, weil die Holzanteile beim Brennen verbrannten. Heute benutzt man Fangstoffe, die als Abfallprodukt bei der Papierherstellung anfallen. Fangstoffe sind die Holzreste aus dem Papier, die dann beim Brennprozess verbrennen. Beim Mauern der Kappen muss man darauf achten, dass die Kappensteine vorher in Wasser getaucht werden. Sie saugen sich dann voll Wasser und trockenen mit dem Mörtel in gleicher Zeit. Würde man die Kappensteine nicht vorher wässern, ziehen sie aus dem Mörtel die Feuchtigkeit und das Gewölbe bricht zusammen. Ein Kreuzgewölbe trägt sich selbst und kann eine Last von 10  Tonnen tragen.  Am Sonntag, den 27.06.2010, fand in der Sankt-Marien-Andreas-Kirche ein Festgottesdienst zur Einweihung der vier neu aufgebauten Sterngewölbe im Kirchenschiff und zur Neueindeckung des Kirchenschiffes statt. Die  Kirche war bis auf den letzten Platz gefüllt.

Pfarrer Andreas Buchholz dankte im Festgottesdienst besonders den Bauleuten, die dieses kleine Wunder vollbrachten. Die Städtische Musikschule Rathenow mit ihrer Direktorin Anke Heinsdorff  gab am 30.06.2010 ein Konzert in der Sankt-Marien-Andreas-Kirche unter der Schirmherrschaft der Kulturministerin des Landes Brandenburg, Dr. Martina Münch, mit dem Motto:  Musikschulen öffnen Kirchen. Was den Menschen dabei auffiel, war die einmalige Akustik, die die Kreuzgewölbe diesem Kirchenraum geben. In 65 Jahren, also eine Generation lang, war das Wissen über die besondere Akustik im Kirchenschiff in Vergessenheit geraten. Es gab ein atemberaubendes Staunen der Zuhörer und der Künstler über den neuen, wunderbaren Klang in dieser alten “neuen“ Kirche. Die neue Kreuzgewölbe im Mittelschiff verleihen dem Kirchenraum durch die wohl abgewogenen Proportionen eine hervorragende Akustik. Die Konzerte in der Kirche werden dadurch zu einem besonderen Erlebnis.


k 

Neue  Sterngewölbe von 2010

Ein kleiner Teil der  Kirche ist nun wieder zum Lobe Gottes  neu erstanden. Die Rathenower Kirchengemeinde ist glücklich. In erster Linie ist sie dankbar für Gottes Segen, mit der  diese Aufbauleistung möglich wurde, denn richtig hatte keiner mehr an den Wiederaufbau des Turms und der Kreuzgewölbe geglaubt.

 

Copyright: Dr. Heinz-Walter Knackmuß, 30.10.2021

 

DSC01129

 Video

über den Wiederaufbau

der Kreuzgewölbe im Kirchenschiff

 

Festgottesdienst zur Einweihung der Sterngewölbe am 27.06.2010