28-Landin-Ein Verkehrsunfall am 01.06.2019

28. Ein Verkehrsunfall

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Luise und Enrico nach der Trauung

Enrico war jung, hübsch und hatte Charme. Er hatte die Gabe, die Mädchen und Frauen des Dorfes für sich zu gewinnen. Sie liebten ihn alle. Er hatte dunkelblondes Haar und wenn er mit seinen blauen Augen die Mädchen anschaute, zitterten sie schon bei seinem Anblick. Er arbeitete auf der Wirtschaft seiner Eltern mit und hatte nur noch eine jüngere Schwester, die aber schon als Baby gestorben war, weil die Mutter noch während sie stillte, ein Abführmittel einnahm, das bei ihrer Tochter tödliche Krämpfe verursachte. Nun konzentrierte sich die ganze Liebe der Eltern auf Enrico, auch wenn er behauptete, seine Mutter hätte ihn so oft verprügelt, dass es für fünf Kinder ausgereicht hätte. Die Eltern Helene und Otto waren fleißige Landwirte und arbeiteten auf dem Hof Tag und Nacht. Nur selten nahmen sie sich Leute dazu, die ihnen halfen und die sie bezahlen mussten. Der Vater trank gern in der Muchowschen Kneipe Schnaps und Bier und kam dann ziemlich betrunken nach Haus, wo ihn Helene schimpfend in Empfang nahm und brummte: “Bist´e schon wieder besoffen?“ Otto lallte dann: „Ick war noch nie in meinem Leben dun, Hest´e mi all ens dun jesehn?“  (Ich war noch nie in meinem Leben betrunken. Hast Du mich schon einmal betrunken gesehn) Dann lachte Helene und brachte ihren Mann zu Bett. In der Nacht trampelte er gegen das Bettende so gewaltig, dass Helene ihren Mann weckte und fragte: „Mann wat is die denn?“ „Ach,“ sagte er, „bei den Nachbarn hat es gebrannt und ich musste mit den Füßen das Feuer austreten.“ „Das war doch nur ein Traum,“ meinte sie, „schlaf mal weiter!“ Enrico war ein junger Mann geworden und musste in den Krieg (1939 -1945). Er geriet in britische Gefangenschaft und wurde von den Briten in ein Lager nach Ägypten verfrachtet. Von dort schrieb er Briefe an seine Eltern. Helene und Otto weinten, wenn sie die Briefe lasen und waren doch froh, dass er noch am Leben war. Aber er wurde von den Briten bald entlassen und kam zurück nach Landin, wo er den Eltern bei der Arbeit tüchtig zur Hand gehen musste und sein altes Leben wieder aufnahm, als wäre nichts passiert. Einmal traf er aber eine junge Frau aus Friesack, die war nicht nur hübsch und temperamentvoll, die hatte ihm auch, er wusste gar nicht wie, völlig den Kopf verdreht. Sie hieß Rosemarie, war klein und zierlich und hatte braune Augen und lange schwarze Haare, die sie immer im Wind flattern ließ. Er war mit ihr zusammen, so oft es ging, und sie bummelten so ein Jahr dahin. Dann entschloss er sich, Rosi zu fragen, ob sie nicht seine Frau werden wollte? Zu seinem Erstaunen sagte sie: „Nein,“ und blieb auch dabei. Er drang in sie und fragte immer wieder: „Warum denn nicht?“ Und endlich sagte sie ihm. „Du brauchst eine Frau, die auf Eurem Hof tüchtig mitanpacken kann. Mir ist die Arbeit in der Landwirtschaft zu schwer, und es ist besser wir trennen uns jetzt.“  Das war ja alles richtig, was sie sagte, das wusste er wohl, denn die Eltern waren alt und brauchten eine jüngere Kraft auf dem Hof. An Geld fehlte es ihnen nicht. Sie erfüllten immer ihr Soll und verkauften den Überschuss mit gutem Gewinn. Nach dem Krieg kostete ein Pfund Butter zeitweise 400,00 Mark. Enrico war nach dieser Antwort richtig krank, so wie er es noch nie erlebt hatte. Sonst war er derjenige, der sich getrennt hatte und nun war es das erste Mal, dass eine Frau ihm den Laufpass gab, die er liebte, wie noch keine vorher. Er fiel in eine Depression, aus der er aber nach einem halben Jahr wie aus einem Alptraum erwachte und sich sagte: „Ja, Rosi hatte Recht. Er brauchte eine Frau für den Hof.“ Seine alte Mutter bedrängte ihn auch jede Woche nun endlich zu heiraten. So bändelte er mit einer jungen Frau aus der Nachbarschaft an, die die Arbeit auf einem Bauernhof gewohnt war und nach kurzer Verlobungszeit heirateten beide in der Landiner Dorfkirche. Sein Frau Luise arbeitete auf dem Hof und auf den Äckern vom Aufgang der Sonne bis zu ihrem Untergang. Sie molk die Kühe und fütterte die Schweine. Sie trug die schweren Eimer voll Milch zur Zentrifuge und butterte im Butterfass die Sahne zu vielen Stücken Butter, die dann verkauft wurden. Sie hackte die Rüben auf dem Acker und brachte das Heu und den Weizen mit ein. Sie liebte ihren Enrico herzlich, denn sie wusste nichts von der Vorgeschichte. Sie kannte zwar seinen Ruf als Dorfcasanova, aber wie jede verliebte Frau dachte sie, er hätte sein altes Leben ihr zuliebe aufgegeben. Er war auch ein ausgezeichneter Liebhaber und Luise erlebte die glücklichsten Jahre ihres Lebens. Er war eine Frohnatur, immer zu einem Spaß aufgelegt und er trieb auch seinen Spaß mit den Leuten und lachte viel. Wenn ein Nachbar gestorben war und die Freunde ihn baten, doch zur Beerdigung mitzugehen, antwortete er: „Der geit bei mi ook nich met,“ (Der geht bei mir auch nicht mit) und blieb zu Haus. Wenn die Nachbarn ihn fragten : „Enrico, wie geht es Dir heute, „ sagte er, „ Immer möh un Appetit of Wost.“ ( Immer müde und Appetit auf Wurst.) Luise war eine stille zurückhaltende Frau, die ihn nur immer bewunderte. Er hatte die Landwirtschaftsschule in Rathenow besucht und sie bildete sich auch fort und machte eine Ausbildung zum Facharbeiter in der Landwirtschaft, aber sie blieb eine einfache schlichte Frau, wenngleich sie jetzt auch reich war. Kaum war sie das erste Mal schwanger, hatte sich Enrico schon wieder an ein sehr junges Mädchen herangemacht und traf sich mit ihr regelmäßig. Seine Frau vernachlässigte er nach der Entbindung aber keinesfalls, sodass sie erneut schwanger wurde und ihm einen zweiten Sohn schenkte. So gingen die Jahre dahin. Seine Liebschafen wechselten, aber auch als er älter wurde, hatte er immer neben seiner Frau eine Intimfreundin. Luise hatte lange nichts bemerkt, aber schließlich kam sie doch dahinter und war wütend. Sie überlegte auch ernsthaft, sich scheiden zu lassen, verwarf aber den Gedanken bald wieder. Sie weinte viel. Enrico rauchte wie ein Schlot. Eine Schachtel Zigaretten reichte oft nicht am Tag. Sie zankte mit ihm rum und sagte: „Wenn Du so weiterlebst, solltest Du wenigstens eine Lebensversicherung abschließen.“ „Mache ich,“ sagte er, und fuhr in die Stadt und schloss eine hohe Lebensversicherung zugunsten seiner Frau ab, sodass sie im Todesfall 1,5 Mio. Mark erhalten sollte. Er hatte jetzt eine junge Frau im Dorf zur Geliebten, die mit ihrem Mann nicht recht glücklich war und in Enrico den Menschen gefunden hatte, der ihr diese glücklichen Stunden verschaffte. Beide dachten dabei nie an Scheidung. Ein halbes Jahr nach Abschluss der Lebensversicherung erkrankte Enrico mit Herzschmerzen und eine alte Ärztin aus Rathenow Conradine Rothenberg kam und untersuchte ihn und sagte:“ Ich verordne Ihnen strenge Bettruhe für eine Woche. Stehen Sie nicht auf und gehen sie nur zur Toilette. Ihr Herz ist stark angegriffen und muss sich erst wieder erholen. Ich schreibe Ihnen Tropfen gegen die Schmerzen auf. Ich komme nächste Woche wieder und untersuche Sie noch einmal.“ „Ja,“ sagte Enrico, „ich mache alles Frau Doktor. Ist es denn so ernst?“ „Machen Sie das, was ich Ihnen sage. Es ist schon eine schwere Erkrankung.“ Enrico blieb zwei Tage im Bett. Die Schmerzen waren weg. Am dritten Tag stand er wieder auf, mistete den Schweinestall aus, rasierte und wusch sich und sagte zu seiner alten Mutter: „Ich fahre mit dem Auto mal schnell in die Stadt. Ich muss auf der Bank noch was erledigen.“ „Aber die Doktorsche hätt  di doch für eene Woche Bettruhe verordnet,“ fragte die Mutter erstaunt. „I wo, wat kiehrt mi dat,“ antwortete der Sohn und fuhr mit dem Auto zu seiner Freundin und dann brausten sie in den Wald bei Görne und hielten auf einem einsamen Waldweg, wo Enrico die Vordersitze umklappte und dann machten beide das, was sie am liebsten taten. Doch auf dem Höhepunkt dieser Beschäftigung hörte Enrico plötzlich auf zu atmen, er verdrehte die Augen und sagte keinen Mucks mehr. Die junge Frau schüttelte ihn und rüttelte ihn, aber er bewegte sich nicht mehr. Da befreite sie sich von der Last seines Körpers und lief zur Landstraße und hielt spärlich bekleidet ein Auto an und bat um Hilfe. Der Autofahrer kam mit und fand den nackten Enrico in einer unzweideutigen Stellung, aber tot. Er versprach zum nächsten Dorf zu fahren und Hilfe zu holen. In Landin rief er von der Gaststätte Muchow, wo das nächste Telefon stand, die Polizei an und bestellte einen Krankenwagen. Es gab ja noch keine Handys, und er meldete einen Verkehrsunfall bei Görne. Als die Polizei und der Krankenwagen eintrafen, konnte man Enrico nur noch tot bergen. Ein Herzinfarkt hatte seinem Leben ein jähes Ende bereitet. „Ein schöner Tod“, meinten die Leute. Luise beweinte ihn mit ihren Schwiegereltern und den Kindern und sagte allen, dass Enrico der beste Ehemann gewesen wäre und sie immer glücklich mit ihm war. Sie begrub ihn und betrauere ihn, wie es sich gehörte und freute sich über 1,5 Mio. Mark, die ihr die Lebensversicherung auszahlte. Allerdings wusste sie nicht recht was mit dem Geld anzufangen. Die Familie war eigentlich auch so reich genug.

 

© Dr. Heinz-Walter Knackmuß  01.06.2019