15-Landin-Totgesagte leben länger am 01.05.2018

Totgesagte leben länger

 

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Max Ebel 1931

 

Max Ebel hieß eigentlich Max Fieke, aber seine Braut, Betty Muchow, Tochter des Gastwirtes Ferdinand Muchow in Landin, bestand auf einer Namensänderung. „Wenn Du Deinen Namen nicht änderst, heirate ich Dich nicht.“ Was sollte der arme verliebt Max Fieke nun machen? Er ging zum Standesamt und da wurde ihm bedeutet. Das ginge, er könne gegen eine Gebühr von 150,00 Mark seinen Namen ändern lassen. So kam er als Max Ebel wieder zu seiner Betty und nun stand der Hochzeit nichts mehr im Wege. Er war Prokurist bei der großen Rathenower Optischen Firma „Nitsche und Günther.“ Er arbeitete in Rathenow, wo er ein großes Haus in der Wilhelm-von-Leibniz-Straße im vornehmen Stadtteil Nord bewohnte. Max Ebel war recht vermögend. Seine Eltern hatten die „Bäckerei Fieke“ in der Großen Baustraße in Rathenow, die sehr gut lief. Er borgte seinem Neffen, dem Bäckermeister Paul Schwarzlose, Geld und half ihm so aus einer großen Verlegenheit. Er machte mit seiner Frau eine Schiffsreise nach Norwegen, von der er gern erzählte. Norwegen mit seinen Fjorden und die Menschen dort hatten ihn fasziniert. Er wäre gern für immer dortgeblieben, aber Betty war bodenständig und wollte in ihrer Heimat bleiben. Es sind ja auch andere Entfernungen in Norwegen und die Menschen leben auf dem Lande weit verstreut. Von Rathenow nach Landin zu ihren Eltern und Geschwistern war es da nur ein Katzensprung. Max Ebel fuhr die Strecke oft mit dem Fahrrad.

 

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In den Fjorden von Norwegen

 

Als 1945 die Russen die Stadt Rathenow eroberten, musste Max Ebel mit seiner Frau Betty das Haus räumen und man kehrte nach Landin zurück, denn das war ja das Elternhaus von Betty und Platz war auch genug da. So lebten nach dem Krieg (1939-1945) drei Familien unter einem Dach. Max und Hedwig Muchow, Max und Betty Ebel und Hertha Brunow mit ihren Eltern, die aus der zerstörten Wohnung in Berlin in Landin Zuflucht gefunden hatten. Es gab auch drei Haushalte, und es wurde alles fein säuberlich auseinandergehalten.

 

 

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Betty und Max Ebel in Landin

 

Die Ehepaare Muchow und Ebel blieben kinderlos und vererbten alles ihrer Nichte Hertha Brunow. Max Ebel bekam in Alter von 75 Jahren Prostatakrebs und wurde von berühmten Chefarzt Dr. Richard Hinze im Paracelsus-Krankenhaus Rathenow operiert. Der Chefarzt Hinze und sein Oberarzt Dr. Wilhelm Grundmann waren begnadete Operateure, die mit Geschicklichkeit und Leidenschaft operierten. Eine Woche nach der Operation bestellte er die Ehefrau Betty Ebel zu sich und teilte ihr mit, dass der Krebs der Vorsteherdrüse auf das gesamte Becken übergegriffen habe. Er könnte nicht sagen, ob er alle Tochtergeschwülste im Becken entfernt hätte. Er meinte zu Betty, dass ihr Mann höchstens noch drei Monate zu leben habe. Sie möchte in dieser Zeit alles regeln, was zu regeln ist. Betty weinte zwei Tage lang, dann raffte sie sich auf und fuhr zu ihrem Mann ins Krankenhaus und sagte zu ihm: „Max, der Chefarzt hat gesagt, dass er nicht weiß, ob er alle Krebszellen entfernen konnte, wir müssen jetzt alles regeln, was zu regeln ist.“ Max wurde nach dem Gespräch sehr traurig und meinte: “Wenn es so ist, kann man nichts machen, außer beten.“ Und so wurde alles besprochen, was besprochen werden musste. Max machte ein Testament, indem er alles seiner Frau Betty vererbte. Nach drei Wochen war die Wunde gut verheilt, der Katheter war entfernt worden, und er konnte wieder gut Wasser lassen. Die Ärzte wünschten ihm alles Gute und entließen ihn nach Hause. Er suchte zusammen mit seiner Frau Betty eine Grabstelle auf dem Landiner Friedhof aus. Max bestimmte einen roten Rhododendron aus dem Garten. Der sollte auf sein Grab gepflanzt werden. Er suchte die Lieder zur Trauerfeier aus: “Befiehl du deine Wege und was dein Herze kränkt“ von Paul Gerhardt und „So nimm den meine Hände.“ Als Predigttext für die Trauerfeier wollte er das Bibelwort „Die auf den Herren vertrauen, kriegen neue Kraft“ (Jesaja 40,31) haben. Und so erlebte er mit seiner Frau eine tiefe innige Zeit, denn er wusste, es wird nicht mehr lange gehen. Er nahm aber den Nachuntersuchungstermin gewissenhaft wahr und der Doktor in der Poliklinik in Rathenow fragte ihn, ob er damit einverstanden wäre, eine Hormonbehandlung mit weiblichen Hormonen zu probieren. Das wäre jetzt das Neuste. Natürlich war er damit einverstanden. Was sollte ihm noch passieren?  Merkwürdigerweise hatte er guten Appetit und seine Frau kochte ihm alles, was er sich wünschte. Natürlich auch sein Lieblingsgericht: süßsaure Eier in Specksoße mit Kartoffelbrei und Sauerkraut. Sie buk ihm Kartoffelpuffer, die er auch sehr mochte. Er ging auch jeden Tag durchs Dorf und seine Spaziergänge waren erst nur ein paar Schritte, aber sie dehnten sich aus und wurden länger. Da er um sein Schicksal wusste, waren die drei Monate, von denen der Chefarzt gesprochen hatte, eine magische Grenze, vor der er doch etwas Angst hatte. Manchmal dachte er, er würde verrückt, aber dann sagte ihm sein kühler Verstand: Es ist alles normales Leben und der Tod gehört eben auch dazu. Betty weinte viel, aber er tröstete sie und meinte: Wir sind jetzt in dem Alter, wo man sterben kann und das ist ja nichts Besonderes, es ist der Lauf der Welt. Dann weinte Betty noch mehr und flüchtete sich wieder in ihre Arbeit. Max und Betty warteten nun alle Tage, dass aus einer Ecke der Tod hervorkommen würde, aber Max fühlte sich nach den Hormonspritzen immer besser. Das Vierteljahr kam und es passierte nichts. „Na, ja,“ meinte Betty, „die Ärzte können sich ja auch mal irren und so genau kann man das bestimmt nicht voraussehen.“ Aus dem Vierteljahr wurde ein halbes Jahr und dann ein ganzes Jahr. Langsam beruhigten sich ihre Gemüter und der Alltag hielt wieder Einzug in der Familie. Die Jahre gingen dahin. Keiner dachte mehr an die Prophezeiung des Chefarztes. Im Februar 1966 erkältete sich Betty und bekam eine Lungenentzündung, von der sie sich nicht mehr erholte. Sie starb am 09.05.1966, beweint und betrauert von ihrem Mann und der ganzen Familie.

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Grabstein von Betty und Max Ebel

„Totgesagte leben länger,“ sagt der Volksmund. Max Ebel hatte nach seiner todbringenden Erkrankung noch über elf Jahre gelebt und sogar seine Frau überlebt. Sie wurden beide auf dem Dorffriedhof in Landin bestattet. Auf dem Grabstein stand:

In Gottes Namen

Max Ebel
*9.7.1885 - † 30.1.1971

Betty Ebel
geb. Muchow
*16.08.1887 - † 9.5.1966

 

 

 

© Dr. Heinz-Walter Knackmuß 01.05.2018