6. Das Rosenfest von Günter Thonke 06.01.2011

Der Sohn war dem Vater in der Pfarre gefolgt und sie brachten es fast auf ein ganzes Jahrhundert, sich um die weißen und schwarzen Seelen in Sydow und Zollchow zu kümmern. Mit vielem Neuen hatte sich der Sohn in der Landwirtschaft einen Namen gemacht, als die Pastoren noch hinter dem Pflug gingen. Er hatte die Stallfütterung eingeführt und Sümpfe und Brüche urbar gemacht gehabt. Den Königsgraben schuf man auf seine Anregung hin, wofür er den „Roten Adlerorden 4. Klasse“ und dreißig Taler Prämie von König Friedrich dem Zweiten bekam. Das war nach dem „Sieben- jährigen Krieg“ viel Geld gewesen, als die Staatsfinanzen noch zu sanieren waren. Der Sohn des Pfarrers Schmidt hatte auch eine glückliche Hand im Kleeanbau und der Saatgewinnung gehabt. Damit machte er gute Gewinne.

Als dieser Pfarrer ohne Erben auf seine letzte Reise gegangen war, hatte er den Ertrag von tausend Talern als Stiftung für ehren- hafte Jungfrauen der Parochie ausgelobt gehabt. Wenn die Rosen blühen, sollte in jedem Jahr vom Gemeindekirchenrat eine ehrenhafte Jungfrau erwählt, die am Festtag vom elterlichen Hause von der Jugend in die Kirche geleitet wurde, um nach der Predigt mit einem Strauß weißer Rosen und einer Krone geschmückt zu werden.

In einer kleinen Schatulle lag der Ertrag der Stiftung. Der Rosenstrauß wurde auf das Grab des Stifters gelegt und ebendort ein neuer Rosenstock zur rechten Zeit gepflanzt. Sitten und Gebräuche verwässern schnell. Die Findung einer ehrbaren Jungfrau wurde immer schwieriger, weshalb nach einem halben Jahrhundert die Statuten geändert werden mussten für einen neuen Anfang. Nach der Napoleonzeit war es schon schwer das Grab des Stifters zu finden, dessen Stiftungsgelder landeten im Eimer der Weltgeschichte und das Brauchtum wurde vergessen. Eine Rosenstrasse gibt es noch in Zollchow, doch die ganz Alten haben ihre Zeit weit hinter sich und es lohnt kaum, einen Esel darüber gewachsenes Gras fressen zu lassen.

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