1. Die Apothekerraupen von Günter Thonke 06.01.2011

Der Kohl war in diesem Jahr voller Raupen. Ohne Chemie hatte das Ungeziefer freie Bahn. Tritt dieses in Massen auf, meiden es sogar die natürlichen Feinde. Die Menschen beauftragen ihre alten Leute, die die Enkel wegen des Bückens um Hilfe bitten. Umsonst ist da auch nichts. Opa quälte sich durch die Kohlreihen, als ein Jugendfreund aus seiner Sturm- und Drangzeit aus Strodehne, wohin das Neueste immer etwas später kam und Schlüsse langsam gezogen wurden, am Gartenzaun hielt und ihn fragte, was er da tue. Ob aus der Jugendzeit noch eine Rechnung offen war oder Opa der Teufel ritt, sagte er: „Ich mache das große Geld!

Du weißt doch wie teuer die Medizin geworden ist und im Vertrauen, mir kauft der Apotheker in der Stadt für einen Groschen das Stück die Raupen ab. Aber nicht weiter sagen, sonst fallen die Preise. Ich weiß zwar nicht , was damit geschieht, ob Tinktur, Salbe oder Extrakt da- raus gemacht wird, doch alle sind nach der Suche für alles. Heute lohnt es sich wie toll und da schafft es .“ Nun aber schnell nach Strodehne und nach dem Kohl schauen, den unzählige herrliche Raupen schon im Griff hatten. Mutter mußte alles stehen und liegen lassen und bei der Raupenernte helfen.

Am frühen Morgen ging es mit dem zugedeckten Korb zum Bahnhof. Im Zug hatten sich die ersten Kohlweißlinge befreit und verwunderten den Billettkontrolleur. In der Apotheke boten sie dem Provisor ihre Ware an, der Heilkräuter vermutete und diese begutachten wollte nach der Regel, erst die Ware , dann den Preis.

„Nehmen sie bitte das Tuch vom Korb.“

„Aber auf ihre Verantwortung!“

Das war ein Flattern im Officin. Die Metamorphose hatte sich über Nacht vollzogen. Aus den Raupen waren Falter geworden. In einem Tohuwabohu verließen die Eheleute fluchtartig die Apotheke.

„Siehste ,Frau, wären wir gestern gefahren hätten wir gutes Geld für deine eingeplanten Wünsche in der Stadt gehabt. Nun mußt auch du dich bescheiden und weiter sparen. Aber nächstes Jahr wer- den wir klüger sein und auch mehr Kohl anbauen.“

Als Opa sie vom Bahnhof kommen sah, reterierte er schnell in seinen Stall. Später kam sein Scherz aber doch unter die Leute und von den Lachern erfuhr ich es.