Feldgottesdienst von Georg Heimerdinger 12.05.1935

Predigt

gehalten beim Feldgottesdienst am Tage  der ehemaligen Zieten-
Husaren und der 205. Regimentsgründungsfeier,
dem 12. Mai 1935, in Rathenow,

von Superintendent Heimerdinger

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Kameraden! So sind wir denn versammelt an erinnerungsreicher Stätte, in der alten Garnison, mit vielen der alten Kameraden, die gekommen sind von nah und fern, diesen Tag  des Wiedersehens in froher Gemeinschaft zu begehen. Alte Freundschaft und Kameradschaft blüht auf, Freundesaugen grüßen sich, die Herzen schlagen höher, - ein Sonntag Jubilate. Freuet euch, jubelt, jauchzet, wie sein alter Name sagt.
Zugleich gilt diese Feier dem 250ten Gründungstag des Regiments, ein Fest des Zusammenschlusses von Vergangenheit und Gegenwart, einer Gemeinschaft, die umschlossen ist von gemeinsamer Liebe und Treue zu dem alten ruhmreichen Regiment der Zietenhusaren.

Aber unser Fest hat noch einen besonderen Gegenstand und Inhalt. Eine neue Standarte soll geweiht werden, das Symbol der Kameradschaft Berlin. Erinnerungsreich und ehrwürdig steht noch einmal die alte Standarte in unserer Mitte, Zeugin ungezählter großer Augenblicke im Leben dieses größten reichshauptstädtischen Vereins alter Kameraden. Zeugin zugleich eines gewaltigen Abschnitts deutscher Geschichte. Möge denn diese alte Standarte, die einst am Ehrentage des Zietenhusarenregiments, dem Tag von Vionville, vor 61 Jahren ebenhier in Rathenow geweiht wurde, heute selber uns die Predigt halten, ehe die neue Standarte der Kameradschaft übergeben wird.

Zwei Worte sind es, die, in goldener Schrift dem Fahnentuch eingewebt, ihre tapfere Losung bilden, das mutige, heldenhafte Wort "Durch!" und abermals "Durch!"

Zwei Gottesworte sollen uns den Sinn verdeutlichen, das eine rückwärts schauend; Psalm 77,12:" Darum gedenke ich an die Taten des Herrn, ja, ich gedenke der vorigen Wunder." Das zweite, Psalm 60, Vers 14, vorwärts blickend: "Mit Gott wollen wir Taten tun."

Seht da die alte Standarte, - wie ein greiser Held, von vielen Stürmen umweht, vom Zahn der Zeit zernagt, von Narben zerfetzt, steht sie noch einmal unter uns.

Als sie nach ihrer Einweihung zum 1. Mal nach Rathenow zurückkehrte, am 15. Juni 1875, da galt es die 200-Jahrfeier einer glorreichen brandenburgischen Erinnerung, der Befreiung Rathenows von dem schwedischen Eroberer. Es war 27 Jahre nach jenem furchtbaren 30jährigen Kriege (1618 -1648), der unser Vaterland bis zum letzten ausgesaugt, niedergetreten, hilf- und machtlos zurücklassen. Für immer schien das einst so stolze Deutschland vernichtet, ein Spott der Nachbarn, ein Raub der Feinde. Der Norden in der Hand der schwedischen Eindringlinge, im Westen übermächtig drohend Frankreich, im Süden losgetrennt, deutsche Stämme unter habsburgischer und kurfürstlicher Gewalt, der Leib zerstückelt. Aber das Herz lebte und pulsierte noch, - Brandenburg - Preußen! Der Große Kurfürst kam und trieb die Schweden aus Rathenow und schlug sie bei Fehrbellin und jagte sie bis zum Nordmeer. Die Glocken klangen: "Ja, ich gedenke der vorigen Wunder", so rauscht es in der alten Standarte.

Aber noch war Preußen - Deutschland nicht frei, nicht einig, nicht stark genug, seine rechtmäßigen Grenzen einzunehmen. Bitter klagt der Große Kurfürst: "Exeriar aliquis nostris ex ossibus ulter, - Einst wird aus unseren Gebeinen der Rächer erstehen!" Durch! Das blieb Preußens Losung und Erbe.

Friedrich der Große, der Einzige, kam. Ein siebenjähriger Krieg voll unendlicher Heldentaten. Ein Name leuchtet auf über Preußen, über Deutschland: Joachim Hans von Zieten, Husarengeneral! Und mit ihm aufs Engste verbunden das Regiment, dessen 205ten Jahrestag wir heute begehen. Durch! Durch Sieg und Niederlage, durch Hunger und Elend, durch tausend Wechselfälle des Geschicks bis zum letzten endgültigen Siege. Die alte Standarte rauscht es uns zu: "Ja, ich gedenke der vorigen Wunder."

1866! Bismarck will das Reich einen. Der Kampf mit dem österreichischen Brudervolk bleibt der einzige Weg. Der Sieg wird erstritten. Und wieder strahlt ein Name, der Geschichte des Regiments tief einprägt, wie draußen auf dem Granitstein vor unserer Kaserne und dem Kasino: Prinz Friedrich Carl, der glänzende Reiterführer. Preußen wird die unumstrittene Vormacht Deutschlands. Bald wird der Aar die Schwingen breiten zu mächtigem Fluge.

Der Krieg mit Frankreich entbrennt. Ganz Deutschland erhebt sich wie ein einziger Mann, ein einziger Held, und der Erbfeind erliegt der gesammelten Kraft deutscher Nation. "Weit, über Gedanken weit, ging Deine Macht und Herrlichkeit!", so sang der deutsche Dichter. "Welch eine Wendung durch Gottes Führung!", so telegraphierte Preußens frommer und demütiger König nach ruhmvollstem Siege in die Heimat. Auch unser Regiment flocht unvergänglichen Ruhm in seine Geschichte. Am Abend des Tages von Vionville, als alle andern Kräfte erschöpft waren, der Abend dunkelte, keine Möglichkeit des endgültigen Sieges mehr vorhanden zu sein schien, da brach es am linken Flügel des gewaltigen Reiterangriffs in die Reihen der Feinde und wendete die unentschiedene Schlacht zum strahlenden Siege. Durch! so rauscht die Erinnerung in der alten Standarte. Wir aber bekennen: "Darum gedenke ich der Taten des Herrn, ja, ich gedenke der vorigen Wunder."

Deutschland auf der Höhe des Ruhms und der Größe!  Was für Erinnerungen knüpfen sich an das alte Banner der Kameradschaft! Vor Bismarck, der Deutschland schmiedete aus Blut und Eisen, rauscht sie an seinem 70. Geburtstag, die Augen des alten Kaisers grüßen sie 1886 auf dem Tempelhofer Felde, sie neigt sich über seine Gruft 1888. Kaiser Friedrich, der Liebling seines Volkes, dessen Wahlspruch: "Lerne leiden ohne zu klagen!" unserm Volke unvergesslich für schwere Zeiten sich einprägt. Kaiser Wilhelm den Zweiten hat sie geschaut. Es liegt wie ein Hauch der großen Erinnerungen um die alte Standarte aus glänzenden und ernsten Tagen.

Die schwerste Prüfung steht noch bevor. Der Weltkrieg bricht herein. Vier Jahre unerhörtesten Ringens, einzigartigen Heldentums! Zwei Drittel der Welt, 26 Feinde gegen Deutschland. Durch! "Rein die Ehr und blank die Wehr," so kehrt nach Hindenburgs Wort unsere herrliche Armee aus dem Felde zurück. Aber die Standarte zittert, sie möchte den Trauerflor nicht ablegen. Fast zwei Millionen deutscher Soldatenherzen sind im Tode gebrochen. Wir können es nicht lassen, auch heute am Festtag ihrer zu gedenken, die ihr Leben nicht geliebt haben bis in den Tod, und besonders Ihr, Kameraden, Ihr gedenkt heute in Wehmut so manches treuen tapferen Kameraden, gefallen auf  blutiger Wahlstatt (Schlachtfeld) für Heimat, Volk und Vaterland.

Aber was noch schlimmer war, es folgen Jahre der Schande und Schmach, der Vertrag von Versailles, das Vaterland zerstückelt, teurer Glieder beraubt, in Ketten unsere Kraft, darniederliegend die Wirtschaft, Parteigeist und Klassenhass, Vaterlandslosigkeit und Gottlosigkeit! Ist Deutschlands Ende gekommen, finis Germaniae, wie die Feinde es wollen? Durch, sagt die alte Standarte! In der alten Garnisonskirche in Potsdam reichen sich das alte glorreiche Deutschland und die Bewegung der deutschen Wiedergeburt und Erneuerung die Hände. Adolf Hitler! Ein gewaltiger Wille, ein unversiegliches Zutrauen zu den Lebenskräften der Nation, ein unzerbrechlicher Glaube an Deutschlands Zukunft. Der gefesselte Riese zerbricht die Ketten. Die Welt erschauert. Wie ein elektrischer Schlag geht es durch die deutschen Herzen. Die allgemeine Wehrpflicht ist uns wiedergeschenkt, statt des kleinen tüchtigen Restheeres wieder das

Volksheer, dem jeder freie deutsche Mann wieder angehören darf. Durch!

Die alte Fahne hat genug gesehen, den Morgen herrlichen deutschen Aufstiegs, der Schande dumpfer Nacht, den neuen Tag, der über Deutschland aufgeht. Und wir fühlen des großen Gottes Führung, wie sie in unserm Psalmspruch zum Ausdruck kommt: "Ich gedenke an die Taten des Herrn, ja, ich gedenke der vorigen Wunder."

Und während die alte Standarte zurücktritt, glänzt in neuen Farben die andere, die heute Eurer Kameradschaft übergeben wird. Sie wendet den Blick in die Zukunft. Mit welcher besseren Losung könnte sie es tun als mit dem zweiten Wort der alten: Durch. Ja, "mit Gott wollen wir Taten tun," wie der zweite Psalmspruch es ausdrückt.

Lasst mich das, was ich zu sagen habe, anknüpfen an das gewaltige Monument deutscher Kraft, das Völkerschlachtdenkmal in Leipzig. Vier Kollossalfiguren stehen darin, die unseres Volkes höchste Tugenden versinnbildlichen.

Tapferkeit die erste

Tapfer ist der deutsche Soldat. Die Geschichte bestätigt das in immer bewährtem Heldentum auf tausenden Schlachtfeldern. Aber meine Freunde, vergessen wir nicht das Dichterwort: "Tapfer ist der Löwensieger, tapferer der Weltbezwinger, tapferer, wer sich selbst bezwang." Das ist der Tapferkeit höchstes Ziel und tiefster Grund: Selbstüberwindung, Selbstbeherrschung. Soll Deutschland wieder aufkommen, dann gilt es, in tapferer Selbstbezwingung zu üben Zucht und Sitte, die dem deutschen Namen Ehre macht, die eine der Grundlagen ist und bleibt des wahren Gedeihens eines Volkes.

Volkskraft

heißt die andere der gewaltigen Figuren. Wann ist die Volkskraft am größten, wann war Deutschland unüberwindlich? Dann, wenn es einig gewesen ist. Darum hinweg mit allem Parteihader und Zwist zwischen deutschen Stämmen, Klassen, widereinanderkämpfenden Kräften, Brüder vom deutschen Hause, die wir doch sind. " Ans Vaterland, ans teure, schließ dich an, das halte fest mit deinem ganzen Herzen."

Und Opferfreudigkeit

besagt die dritte Gestalt. Wie hat unser Führer uns diese Bereitschaft zum Opfer vorgelebt! Alles lassen bis zum Letzten, bis zum Leben, wenn es Deutschland gilt. Durch! das war auch seine Devise, die er in die Tat umgesetzt hat in all den Jahren der Vorbereitung, das haben die Männer im braune Kleide erfüllt und alle die anderen, die durchgehalten haben im Kampf bis  zum Ende in heißer Liebe zum Vaterlande.

Und endlich das Wichtigste: Frömmigkeit!

Gedenket der großen Deutschen, die uns ihr Christentum als Vorbild echter Frömmigkeit hinterließen, eines Moltke etwa, des großen Schlachtenlenkers, auf dessen Schreibtisch sein Neues Testament sich fand, zerlesen, mit Randbemerkungen versehen, - eines Bismarck, dessen echt deutsche Frömmigkeit in tiefen herrlichen Worten seiner Briefe und Reden leuchtet, des alten Hindenburg, dessen letztes Mahnwort war: "Sorgt dafür, dass Christus auf den deutschen Kanzeln gepredigt wird!" Es wollen sich heute feindliche Gewalten zwischen das Deutschtum und den christlichen Glauben drängen. Haltet fest! Lasst nicht zu, dass Deutschtum und Christentum auseinanderbrechen! Nicht ohne Gott, den wir in Jesus Christus kennen, mit Gott wollen wir Taten tun. Durch  durch die Nebel der Verirrung, die auf dem deutschen Wege in die Zukunft liegen. Amen.

 

Der Prozess

Einen Tag nach diesem Feldgottesdienst, am 13.05.1935, erschien in "Westhavelländischen Tageszeitung" ein Artikel von dem Hauptschriftleiter  Otto Ernst Lasch, der den Superintendenten Georg Heimerdinger zwang eine Klage wegen Beleidigung beim zuständigen Amtsgericht Rathenow anzustreben. Nach einem Lob der Kameradschaft unter den Veteranen bei dem Treffen am 12.05.1935 holt diese Nazi-Schreiberling zu einer demagogischen Verleumdung des Superintendenten Georg Heimerdinger aus und schrieb:

"So soll es sein. So wird der Geist der Kameradschaft und der Treue, der in diesen Tagen des Wiedersehens der Zieten-Husaren so herrlich  Ausdruck fand, hinaustragen und vertieft. Und das ist das Wertvolle, das Bleibende von solchen Tagungen, aber auch - das Gefährliche! Jawohl, auch das Gefährliche. Dann nämlich, wenn solche Tagungen und Zusammenkünfte als willkommener Anlass benutzt werden, Giftstoffen wie Bazillen in die Herzen der Zusammenkommenden zu senken, damit sie dann draußen hundertfach, tausendfach, millionenfach sich vermehren und wirken, zersetzen. Das ist die raffinierte Methode verkappter Gegner, politischer Gegner des Nationalsozialistischen Staates, die ihre Zersetzungsbazillen, ihre Spaltpilze eingekapselt in hochtönende Worte oder in Scheinheiligkeit, unmerklich zu verabfolgen. Wir wissen längst, dass gewisse Kreise der Reaktion, die zu einem offenen Kampf noch zu feige sind, die Kirche und den sogenannten  Kirchenstreit als geeignete Basis benutzen für ihre Wühl- und Zersetzungsarbeit. Sie reden gern von Einigkeit und meinen die Einigkeit im Kampfe gegen den Nationalsozialismus. Sie reden gerne und viel  von Vaterland und meinen den monarchischen Staat. Sie reden von Volk und meinen damit die "Untertanen", die sie wieder wie früher beherrschen möchten. Sie wollen sich nicht damit abfinden, daß Wahrheit ist und bleiben soll, was der Führer wiederholt in unmissverständlicher Klarheit immer wieder betonte, dass das, was niemals wiederkommt, auch nicht, wenn diese "glorreiche" Vergangenheit, die für sie gleichbedeutend ist mit dem wilhelminischen Monarchismus in noch so leuchtenden Farben geschildert wird, an die auch bei diesem Wiedersehensfest durch ein "Telegramm aus Dorn" leise erinnert wurde. Wir haben es bisher grundsätzlich abgelehnt, uns in die Auseinandersetzungen kirchlicher Gruppen einzumischen und werden dies auch fernerhin tun, allerdings nur solange, als diese Auseinandersetzungen intern bleiben. Wir können und werden aber  nicht schweigen, wenn der neutrale Boden der Kirche, wenn die Kanzel zu versteckter oder offener politischer Propaganda gegen den nationalsozialistischen Staat missbraucht wird, insbesondere nicht, wenn dazu ein öffentlicher Feldgottesdienst, wie am gestrigen Sonntag, benutzt wird. Wir kennen das reaktionäre Wirken des Generalsuperintendenten Dibelius, das erst kürzlich unser Gauleiter, Oberpräsident Wilhelm Kube, wiederholt treffend gegeißelt hat, wir kennen aber auch jene Geistlichen, die hier in Rathenow in seinen Fußtapfen wandeln und erst kürzlich versuchten, ihn gewissermaßen durch die Hintertür einzuschmuggeln, um ihn in Rathenow seine reaktionäres Gift verspritzen zu lassen. Ein plötzliches Redeverbot hat allerdings verhindert. Sollte vielleicht die unverständliche, mehr als loyale Haltung der hiesigen Polizeibehörde im Falle "Dahlemer Manifestes" Ansporn gewesen sein, nunmehr etwas offener und deutlicher zu werden? Fast muss es so scheinen, wenn man die gestrige "Predigt" des Feldgeistlichen Superintendenten Heimerdinger beim Feldgottesdienst hörte. Während der katholische Geistliche mannhafte, begeisternd soldatische Worte in seiner von tiefem religiösen Empfinden getragene Ansprache fand, deren Kern Pflichtbewusstsein, Treue und Gottvertrauen war, die gipfelte in höchstem Opferwillen für Führer, Volk und Vaterland, verdiente die Predigt des Herrn Heimerdinger diese Bezeichnung nicht mehr. Alle schönen hochklingenden Worte über die wirklich ruhmreiche Vergangenheit des Regiments der Zietenhusaren konnten die aufmerksamen und aufnahmewilligen Zuhörer über den wahren Sinn dieser Rede nicht hinwegtäuschen. Ich will hier keine theologisch-philosophischen Untersuchungen anstellen, aber nach meiner Ansicht sind Gottglauben und Frömmigkeit zwei verschiedene Begriffe. Ich kann ein wahrhaft religiös veranlagter und denkender Mensch sein, von tiefem Glauben an den Allmächtigen durchdrungen, während ich trotzdem im Sinne irgendeines Dogmas nicht fromm zu sein brauche. Was will aber Herr Heimerdinger damit sagen, wenn er mit bewusster Betonung die außergewöhnliche Frömmigkeit großer Männer des zweiten Reiches uns vor Augen führt? Dass man auf dem Schreibtisch Moltkes nach seinem Tode ein völlig zerlesenes neues Testament fand, dass die ungewöhnliche Frömmigkeit der drei Kaiser des zweiten Reiches die Grundlage ihrer Macht, all ihres Handelns war, dass Bismarck ein tief christgläubiger Mensch war, dass Hindenburg gewissermaßen als Vermächtnis in seinen letzten Tagen gesagt haben soll "Hört nicht auf, Christus zu predigen."  Was heißt das, wenn Herr Heimerdinger alldem dann mit erhobener Stimme plötzlich gegenüberstellt, dass "heute Kräfte am Werke seien, die das Christentum und Deutschland zerreißen wollen." Wollen Sie damit sagen, Herr Heimerdinger, dass Adolf Hitler, den sie zu erwähnen "vergessen" haben, kein religiöser, von Gottesglauben durchdrungener Mensch ist? Wollen Sie damit sagen, dass der Nationalsozialismus, denn das ist wohl die Kraft und die Macht von heute, das Christentum als solches, das Deutschtum zerreißen will? Haben Sie vergessen, dass der Nationalsozialismus auf dem Boden positiven Christentums steht, dass er aber nicht duldet, dass durch Pfaffengeschwätz und Pfaffenstreit das Volk in seinem wahren deutschen Glauben zerrissen wird? Sollten Sie dies vergessen haben oder nicht wissen wollen, so wollen Sie hiermit Ihr Gedächtnis auffrischen und Ihnen und Ihren Kollegen, die es angeht, in Erinnerung bringen, dass es nur dem Nationalismus zu danken ist, dass Sie überhaupt noch predigen können. Es sei aber ebenso deutlich gesagt, dass wir es keinesfalls widerspruchslos hinnehmen, dass von öffentlicher Kanzel herab die Keule der Zweitracht uns ins Gesicht geschleudert wird. Trotz aller Loyalität haben wir noch nicht vergessen, wie noch an einem Sonntag im Jahre 1932 unsere Hakenkreuzfahne, das heilige Symbol des heutigen Staates, in Ihrer Kirche, Herr Heimerdinger, geschmäht wurde. Nicht der Nationalsozialismus zerreißt das Christentum oder das Deutschtum, zerreißend und zersetzend wirken Leute vom Schlage Dibelius und seine Freunde, zu denen Sie, Herr Heimerdinger, sich ja ebenfalls rechnen, die aber nur das Bestreben haben, dabei ihr reaktionäres Süppchen zu kochen. Wir haben bisher geschwiegen, weil wir die Kirche als geheiligten, als neutralen Boden achteten, wir können aber nicht mehr schweigen, nachdem Sie unter freiem Himmel derartige Thesen in die Welt hinausschreien. Der Kampf in Rathenow um die Durchsetzung des Nationalsozialismus war zu schwer und das Vertrauen zum Nationalsozialismus, das heute Gott sei Dank unsere Stadt zum allergrößten Teil durchglüht, ist uns zu heilig, als dass wir es durch reaktionäres Pfaffengeschwätz wieder zerstören lassen könnten! Durch! Durch! Das sind die beiden Worte auf dem Panier der Zietenhussaren, das dieses stolze Regiment ehrenvoll von Schlacht zu Schlacht, von Sieg zu Sieg geführt hat. Diese beiden Worte standen auch am Schluss der Rede des Herrn Heimerdinger, als er von der Zerreißung des Christentums sprach, durch "die Kräfte, die heute am Werk sind." Gegen diese Kräfte, also gegen den Nationalsozialismus soll der Kampf geführt werden, anders können diese Worte nicht gemeint sein und nicht verstanden werden. Nun denn, wir müssen es Herrn Heimerdinger und seinen Freunden überlassen, auf diesem Weg weiterzugehen und weiterzukämpfen. Man möge sich aber keinen falschen Illusionen hingeben. Wir sind bereit diesen Kampf  aufzunehmen, an dessen Ende der Sieg steht, der Nationalsozialismus heißt. Und Nationalsozialismus heißt: "Adolf Hitler! Ein Volk, ein Führer, ein Glaube, Deutschland! Durch! Durch!"
Otto Ernst Lasch

 

 

Folgen des Zeitungsartikels:

Superintendent Georg Heimerdinger hatte gegen diese Beleidigungen Klage gegen den Autor beim Amtsgericht Rathenow erhoben. Das Urteil des Amtsgerichts Rathenow lautete am 6.11.1935, dass der angeklagte Journalist vom  Vorwurf der Beleidigung freizusprechen sei und der Kläger Heimerdinger die Kosten des Verfahrens zu tragen hätte.

Gegen dieses erste Urteil ging der Superintendent Georg Heimerdinger in Berufung. Die Zeugenaussagen in diesem Berufungsprozess sind hoch interessant. Fräulein Engel bekundet, dass der Privatkläger (Georg Heimerdinger)  im Februar oder Juni 1932  ihr gegenüber geäußert habe, auf der nationalsozialistischen Bewegung beruhe seine  einzig Hoffnung auf  Rettung des Volkes aus  seiner Not. Heimerdinger erklärte im Prozess, dass er keineswegs gegen den heutigen deutschen Staat eingestellt sei. Im Gegenteil habe er der Bewegung stets wohlwollend gegenübergestanden. Seine Söhne und ein in seinem Hause lebender Neffe seien lange vor dem Umbruch Nationalsozialisten gewesen, was er immer geduldet habe. Er selbst habe vor dem Umbruch größere Beträge für die Bewegung gespendet. Für den Rabbiner Abraham habe er, Heimerdinger, auf mehrfaches Drängen eines Berliner Standartenführers Enons ein harmloses Gutachten dahin aufgesetzt, dass über Abraham sonst nichts Nachteiliges bekannt sei. Das Verbot, die Hakenkreuzfahne am Totensonntag entrollt durch die Kirche zu tragen, sei auf Veranlassung des Militärkommandos erfolgt.

Der Vorsitzende  Landgerichtsrat von König der  Kleinen Strafkammer des Landgerichts Potsdam beim Amtsgericht Brandenburg (Havel) verurteilte am 22.01.1936 den Nazi-Journalisten wegen öffentlicher Beleidigung und übler Nachrede zu einer Strafe von 50,00 Reichsmarkt oder zwei Tage Haft sowie zu den Kosten des Verfahrens. In der Begründung des Gerichts heißt es, dass der Superintendent Georg Heimerdinger weniger an der Höhe der Strafe, sondern daran interessiert war, dass seine Ehre wiederhergestellt wird.

 

Kommentar:

Wir Nachgeborenen haben es leichter, über die Worte der Predigt zu urteilen. Wir sehen darin eine richtig Predigt im Sinne der Nazis mit einer Verherrlichung des Führers dieses Regimes. Und eines wird auch deutlich: Deutschland wird als Götze verehrt. Nicht Jesus Christus und sein Vater sitzen ganz oben, sondern ein Wahn von deutscher Größe. Nur zum Schluss wird eine Bitte geäußert, dass das Deutschtum mit Gott zusammengehen sollte. "Sorgt dafür, dass Christus auf deutschen Kanzeln gepredigt wird", meint Georg Heimerdinger und zitiert Hindenburg, aber wie denn, wenn er nur der deutschen Ehre und dem deutschen Ruhm huldigt und Jesus darüber vergisst. Jesus Christus ist der Mittelpunkt für Christen, an dem sich die Menschen orientieren sollen. Und er  ist ein Jude, den wir als Gott verehren. Aber man kann das nur aus der damaligen Zeit beurteilen und wir könnten nicht sicher sein, ob wir selbst der Verführung durch die Nazis erlegen wären. Die Verblendung der Menschen war grenzenlos.

Und die Nazis in Rathenow haben 1935 den Pfarrer Heimerdinger in der Zeitung wegen dieser Predigt verleumdet und öffentlich geschmäht, sodass er den Naziautor vor Gericht verklagte. Wen erinnert das nicht heute an die AfD, die auch keine Gelegenheit auslässt, um Menschen zu verführen und die Politiker zu verleumden.

 

Dr. Heinz-Walter Knackmuß,19.04.2020