33-Königlich Prueßischer Kammersänger Albert Niemann

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Torhaus - Eingang zum Weinbergfriedhof

1885 kam der Königlich Preußische Kammersänger Albert Niemann aus dem Gasthof „Zur goldenen Sonne“ in Rathenow und setzte sich auf den Bock des kleinen Jagdwagens, auf dem schon der Droschkenkutscher Hübener thronte. Albert Niemann hatte eine auffallend hohe Gestalt mit blondem, schon etwas ins Graue spielenden Vollbart, eine Flinte umgehängt. „Guck mal, das ist ja Niemann“, sagten die Leute. Albert Niemann war zu seiner Zeit der berühmteste Wagnersänger und auch Jagdpächter der Rathenower Stadtforst. Nachforschungen bei dem 92 jährigen Rentier Karl Legeler, als Besitzer der Jagd auf dem Jederitzer Feld Niemanns Jagdnachbar, und dem Rentner Otto Hübener, dem Sohne des alten Droschkenkutschers, ergaben viele Einzelzüge aus dem Leben des Menschen und Jägers Albert Niemann, die das Bild des großen Künstlers ergänzen. Albert Niemann wurde auf eigenartige Weise Opernsänger. Er war am 15. 01.1831 in Erxleben als Sohn eines Gastwirts geboren und wollte ursprünglich Maschinenbauer werden, musste aber das Studium aufgeben, da seinem Vater die Mittel fehlten. Als 18jähriger war er am Straßenbau zwischen Helmstedt und Morsleben mit Steinefahren beschäftigt, wie stets fröhlich und aus voller Kehle singend. Hier hörte ihn eines Tages der Direktor des Brunnentheaters in Bad Helmstedt, der, überrascht von dem Wohlklang und der Kraft der Stimme, Niemann mit nach Dessau nahm, wo er durch die Unterstützung einer musikliebenden begüterten Dame seine erste Ausbildung erhielt. 1866 – 1887 bezauberte er die Berliner in der Königlichen Oper durch seine volle und schöne Stimme, seine schauspielerische Begabung und imponierende Erscheinung. Den gewaltigen Eindruck, den er hervorrief, fasste nach der ersten Bayreuther Festspielwoche 1876 der Maler Anton von Werner in seiner Selbstbiografie in die Worte zusammen: „Wer unsern Albert Niemann damals als Siegmund in der Hundinghütte in der Lenz – und Liebesnacht gesehen hat, wer ihn hat singen hören. „Winterstürme wichen dem Wonnemond“, für den sind Bayreuth, Wagner und Niemann ebenso unzertrennlich wie unvergesslich.“ Albert Niemann war aber nicht nur ein begeisterter Sänger, er war nebenbei auch ein leidenschaftlicher Jäger, und dadurch kam er in Beziehung zu Rathenow. Von 1879 bis 1889 hatte er die Jagd in der Stadtforst gepachtet, anfangs allein, nach 5 Jahren mit dem Berliner Verleger Georg Bürenstein zusammen. Gewöhnlich hielt er sich hier den ganzen Mai über auf. Er wohnte zuerst bei Taute im Deutschen Hause, Berliner Straße 24, wo 1900 Kurfürstenapotheke stand. Später stieg er mit Vorliebe im Gasthof „ Zur goldenen Sonne“, Berliner Straße 21 ab, dessen Wirt Schütze hieß (früher Kaufhaus Bünger).  Morgens in aller Herrgottsfrühe hielt gewöhnlich der Droschkenkutscher Hübener, der auf dem Hof der „Goldenen Sonne“ wohnte, mit seinem, von zwei flinken früheren Husarenpferden gezogenen Jagdwagen vor dem Gasthof und holte Niemann zur Jagd ab. Gegen zehn Uhr kehrten sie zurück und fuhren nachmittags bis zum späten Abend nochmals fort. Zwischen beiden hatte sich ein sehr freundschaftliches Verhältnis entwickelt. Niemann fuhr nie anders als auf dem Bock neben dem Kutscher, und als einmal ein vorwitziger Referendar sich dort hinsetzte, wurde er heruntergeholt: „Neben meinem Freund sitze ich.“ Dafür ging aber auch Hübener für ihn durchs Feuer. So war er einst durchgeweicht und steif vom Friesacker Gerichtstag nach Hause gekommen und wollte es sich eben bequem machen, als unerwartet Niemann in die Stube trat mit den Worten. „Ich habe eben eine Schnepfe geschossen, die müssen wir suchen.“ Sofort war die Müdigkeit vergessen, und beide fuhren nach der Eschhorst. Nach langem vergeblichen Mühen, wollten sie schon die Suche aufgeben, als Hübener, durch das Stehen des Hundes aufmerksam geworden, wieder zurückging und die Schnepfe in einem Wachholderstrauch fand. Niemann schickte sie sofort an das Hofmarschallamt, denn es war damals unter den Jägern Brauch, die erste Schnepfe dem Hof zu übersenden. Die 20 Mark, die es dafür gab, schenkte er Hübener, wie er überhaupt jede Gefälligkeit mit einem Fünfmarkstück belohnte. Als der Sänger 1888 eine Gastspielreise nach Amerika antrat, kam er durch Rathenow und fragte auf dem Bahnhof den Hoteldiener vom Deutschen Haus: „ Ist denn der Hübener nicht da?“ Als der verneinte, sagte er: „ Grüßen Sie ihn schön von mir, ich fahre nach Amerika.“ Bei seiner Rückkehr ließ er sich bald wieder in Rathenow sehen und begrüßte seine Kutscher mit den Worten: „Na, Hübener, was denken sie, dass ich ihnen mitgebracht habe?“ Dieser meinte, das wüsste er nicht, aber abgelegtes Zeug könne er gebrauchen. Worauf Niemann sagte: „Ach, abgelegtes Zeug ist nichts. Lassen Sie sich von diesem Stoff einen schwarzen Anzug machen.“ Einmal lud er die ganze Familie zum Besuch des Zoologischen Gartens ein, und als Frau Hübener gelegentlich äußerte, sie möchte doch zu gern Niemann singen hören, schickte er umgehend Karten zum „Tannhäuser“. In demselben Jahre, als Kaiser Friedrich starb, wurde auch Hübener an derselben Krankheit, dem Kehlkopfkrebs, von Dr. Bergmann und Dr. Bramann operiert und lebte noch viele Jahre danach. Niemann erschien bald nach der Operation im Krankenhaus und war gerührt, dass er seinen lieben Kameraden wieder auf dem Weg der Besserung fand. Dieser traf einige Zeit danach auf dem Rathenower Bahnhof Dr. Bramann und dankte ihm, dass er ihm das Leben erhalten habe. Zu den Treibjagden lud sich Niemann seine Berliner Freunde ein, wie den Opernsänger Krolopp , den Generalpostmeister von Stephan. Auch die Rathenower Pächter und Besitzer, wie Legeler, Hobrecht, Jungnickel, mit denen er gute nachbarliche Jagdbeziehung pflegte, lud er gelegentlich dazu ein. Im Verkehr stets liebenswürdig, konnte er doch, wenn er gereizt war, sehr grob werden. So fielen einmal dem Hausdiener der „Goldenen Sonne“, als dieser ihm die Jagdstiefel auszog, zwei von Niemanns Lefaucheurpatronen, die mit einem vorstehenden Stift entzündet wurden, aus der Tasche. Niemann sprang wütend auf und verabreichte dem leichtsinnigen und diebischen Hausdiener eine so gründliche Tracht Prügel, dass dieser wohl sein Lebtage keine fremde Patrone angefasst haben wird. Rathenow hatte Albert Niemann in sein Herz geschlossen. Selbst wenn er mit seiner Familie zur Erholung nach Tegernsee gefahren war, hielt er es dort nur ein paar Tage aus, dann musste er wieder nach Rathenow. Vor allem liebte er unseren Friedhof, den er sehr oft besuchte. Seine heimliche Schönheit und Unberührtheit, die damals noch nicht entstellt waren, da jedem die Grabstätten der Vorfahren unter den hohen Baumhallen, zwischen Fliederbüschen und efeubewachsener Mauer ein unantastbares Heiligtum waren, hatten es ihm besonders angetan. Am 13. 01.1917 ist Albert Niemann in Berlin gestorben.

 

Copyright: Dr. Heinz-Walter Knackmuß, 13.07.2019, nach Walther Specht