30-Die Achtgroschenrevolution in Friesack

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Rathaus Friesack 2013

Als im März 1848 in Berlin die Revolution ausbrach, geschürt zum großen Teil vom Janhagel (Pöbel) der Hauptstadt, warfen die Unruhen ihre Wellen auch in die Provinz, brachen sich an den Städten und verebbten leise auf dem Lande. Je größer das Format der Orte war, je größer war auch das Format der Revolution. Knatterten in Berlin Kanonen und Gewehre in blutigem Kampf um die Barrikaden und floss in Rathenow noch Blut, wenn auch nur Pferdeblut von ein paar angestochenen Kürassiergäulen, so blieb für Friesack nur ein ganz kleines Revolutiönchen mit gemütlich-komischem Einschlag übrig. Es wurde zwar überall viel auf die Regierung geschimpft, denn jeder war überzeugt, besser regieren zu können als die Minister in Berlin, aber ihre Haut zu Markte zu tragen und ihr Eigentum aufs Spiel zu setzen, fiel den behäbigen Ackerbürgern und Handwerksmeistern nicht im Traum ein. So verlief die Revolution hier wie in jenem kleinen deutschen Fürstentum, dessen Landesvater den Schalk im Nacken hatte. Da zogen nämlich eines Tages die Bewohner der Hauptstadt mit lautem Trubel vor das Schloss. Der Fürst trat auf den Balkon und hörte auf seine erstaunte Frage, was sie wollten: „Durchlaucht, wir wollen anderen Ländern nicht nachstehen und bitten untertänigst um eine Revolution.“ Mit freundlicher Miene rief er der Menge zu: „Eine Revolution wollt ihr? Gut sollt Ihr haben!“ Da brachen seine Untertanen in lauten Jubel aus und ließen ihren guten Fürsten hochleben. Am 26. April 1848 war in Friesack Viehmarkt. Bei dieser Gelegenheit wurden denn auch die neuesten politischen Ereignisse von den Bürgern der Stadt und den Bauern besprochen. Man erfuhr, dass der Knecht des Schulzen Koch in Möthlow, der einen Brief an den Landrat nach Rathenow bringen sollte, am Rollberge von drei mit Knüppeln bewaffneten Strolchen angefallen und seiner Barschaft beraubt worden sei, dass in Rathenow zwei Volksversammlungen unter den 11 Eichen vor dem Berliner Tore stattgefunden hätten, nach denen man die Bäckerläden stürmen wollte. Es gingen auch Gerüchte, dass am heutigen Markttage die Unstimmigkeiten zwischen dem Bürgermeister Frenz und der Bürgerschaft zum Austrag gebracht werden sollten. Denn dieser hätte eine unentgeltliche Wohnung im Rathause bekommen, hätte Holz für sich angekauft, davon wieder verkauft und aus dem Busch Besen binden lassen, hielte sich ein Pferd und betriebe Ackerbau, was seinen Verhältnissen nicht angemessen sei, und schließlich sollte er jedem Jungbürger ein Exemplar der Städteordnung aufgedrungen und dafür acht Silbergroschen abgenommen haben. Das letzte schlug dem Fass den Boden aus. Umsonst hätte man die auf Kosten des Magistrats gedruckte Städteordnung und die Feuerlöschordnung für Friesack wohl genommen, aber dafür Geld zu bezahlen, das ging gegen die Bürgerehre, Freiheit und – gegen den empfindlichsten Körperteil, den Geldbeutel. Es wurde schon seit März heimlich deswegen gegen den Bürgermeister gewühlt, aber die Explosion der Gärung auf den Viehmarkt verspart, damit die ganze Sache wenigstens auch ein Ansehen bekam. So versammelten sich an diesem Tage von 60 Jungbürgern, denen die Bücher bei der Leistung des Bürgereides ausgehändigt worden waren, 31 heimlich gegen Abend beim Tischlermeister Lutter zur Beratung. Es wurde eine Deputation von fünf Bürgern an den Bürgermeister geschickt, die ihm einen Teil der Bücher zurückbrachte, aber ihre eigenen wieder mitnahm, als er sie über die Zweckmäßigkeit belehrt hatte. Die Versammelten aber waren mit dem Bescheid nicht einverstanden und begaben sich nun insgesamt in der inzwischen hereingebrochenen Dunkelheit auf das Rathaus und forderten mit „einiger Malice (Schalkhaftigkeit)“ ihr Geld zurück. Obwohl der Bürgermeister ihnen die Nützlichkeit der Bücher erläuterte, erreichte er nur so viel, dass zehn Bürger sich überzeugen ließen, während die übrigen 21 ihre Bücher abgaben und somit befriedigt wurden. Inzwischen hatte sich in der Marktstraße vor dem Rathause eine große Menschenmenge versammelt, die Drohungen ausstieß, mit Steinen warf und die Gendarmen Meyer und
Weber, sowie den Polizeidiener Mehls, die sich vor dem Rathause aufgestellt hatten, umringte. Da diese drei Männer gegen den Haufen mit Waffengewalt nichts ausrichten konnten und vorauszusehen war, dass bei einem missglückten Versuch der Magistrat und die Polizei beleidigt und lächerlich gemacht und die Aufregung unter den Bürgern noch gesteigert worden wäre, so entschloss sich der Gendarm Meyer auf eigenem Wege dem Tumult ein Ende zu machen. Er trat mitten in die Menge, wo sich die meisten aufgewiegelten Gesellen befanden, und rief ihnen zu: „Bürger und Freunde! Wer die öffentliche Ordnung und in dieser die Freiheit liebt, der beteilige sich nicht bei diesem Spektakel! Unser allergnädigster König lebe hoch! Preußen hoch!“ Auf jede dieser Aufforderung erfolgte ein stürmisches dreimaliges Hoch, und da man auch dem Gendarmen ein Hoch brachte, so benützte er die Gelegenheit, die Gesellen zu bewegen, mit ihm sofort zum Gastwirt Puhlmann (jetzt Himburg, Marktstr. 20) zu gehen, damit er ihnen für die ihm – angeblich – erzeigte Ehre einen Schnaps spendieren könne. Auch der Musikus Kannegießer ließ sich bereitfinden, bei Puhlmann unentgeltlich bis 11 Uhr Tanzmusik zu machen, und so wurden die Gesellen dort jubelnd, aber in bester Ordnung zurückgehalten. Die aufwiegelnden Bürger aber zogen sich beschämt zurück, und die Neugierigen begaben sich nach Hause, lachend, dass diese Demonstration auf so originelle Weise zum Scheitern gebracht worden war. So hatte die Achtgroschen-Revolution, die tatsächlich nur durch die vom Bürgermeister für den Druck der Städte- und Feuerlöschordnung geforderte Erstattung von acht Silbergroschen veranlasst war, einen friedlichen Ausgang genommen. Und wenn auch ein paar Tage später noch dem Apotheker und Ratsmann Lionnet zweimal die Fensterscheiben eingeworfen wurden, so ändert das nichts an der Feststellung, dass umstürzlerische Ideen bei den Friesackern keine Wurzeln schlugen. Wer in der DDR aufgewachsen ist und die hohen und hehren Ziele der Revolutionen gelehrt bekommen hat, mag bei dieser Darstellung von Walther Specht nur mild in sich hineinlächeln, aber die Zeit hat dem Walther Specht doch Recht gegeben, denn auch die kommunistischen Revolutionsführer sind in Deutschland verschwunden. Alles hat seine Bedeutung nur für eine bestimmte Zeit.

 

Copyright: Dr. Heinz-Walter knackmuß, 10.07.2019, nach Walther Specht